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Ansprüche gegen RWE wegen Stromausfalls nicht ausgeschlossen - schnelles Handeln geboten

Beim diesjährigen unverhofften Wintereinbruch fiel in zahlreichen Gemeinden im Münsterland über Tage der Strom aus. Der zuständige RWE-Konzern streitet jedwede Verantwortung ab. Ansprüche gegen den RWE-Konzern wegen des Stromausfalls kommen aber durchaus in Betracht. Vertraglich sind die Stromkunden verpflichtet, ihre Schäden unverzüglich, d. h. sofort, dem Versorger mitzuteilen. Ansonsten droht ein Rechtsverlust. In tatsächlicher Hinsicht ist die Frage zu klären, ob RWE seine Strommasten entsprechend dem Stand der Technik unterhalten hat. Bereits in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten Dritter sind in parallelen Prozessen nicht verbindlich. Jeder Anspruchsteller ist dazu gehalten, ein eigenes Beweissicherungsverfahren einzuleiten.

Am 25.11.2005 brach unverhofft der Winter ein. Die von RWE unterhaltenen Strommasten hielten dem Witterungsunbillen nicht stand. Viele Strommasten knickten ab. Insbesondere im Kreis Steinfurt, Borken und in Ochtrup fiel der Strom aus. Zahlreiche Milchbauern konnten ihre Kühe nicht melken. Nur behelfsmäßig konnten Notstromaggregate eingesetzt werden. In Maststallbetrieben verendeten wegen des Ausfalls der Belüftungsanlagen Tausende von Masthähnchen. RWE weist bis zum heutigen Tage jedwede Verantwortung von sich ab. Der Konzern beruft sich darauf, dass es sich um einen ungewöhnlichen Schneefall und damit um höhere Gewalt gehandelt habe. Der Konzern habe die Stromausfälle deshalb nicht zu vertreten. Mittlerweile ist jedoch bekannt geworden, dass RWE spätestens seit dem Jahre 2003 um den Sanierungsrückstand der Strommasten weiß. Bei der Errichtung der Strommasten wurde in den 60er Jahren sog. Thomasstahl verwand. Dies entsprach dem damaligen Stand der Technik, jedoch nicht dem heutigen. Bereits im Jahre 2000 warnten RWE Sicherheits-Ingenieure, dass Thomasstahl im Laufe der Jahrzehnte spröde würde. Ob sich dieses Risiko realisiert hat, wird durch Sachverständige zu prüfen sein. Das Amtsgericht Steinfurt hat bereits ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.

Dieses Gutachten entfaltet jedoch keine Bindungswirkung in den individuell von den betroffenen Landwirten anzustrengenden gerichtlichen Verfahren. Hier empfiehlt sich die Einleitung eines sog. Beweissicherungsverfahrens. Dieses kann einem Klageverfahren vorgeschaltet werden. Im Beweissicherungsverfahren werden allein die streitigen Tatsachenfragen - namentlich hier, ob die Strommasten dem Stand der Technik entsprachen - geklärt.

Rechtlich ist in dreifacher Hinsicht an eine Haftung zu denken - gegenüber den Stromlieferanten, den Netzbetreibern und der Aufsichtsbehörde. Wer Schadensersatzansprüche geltend machen will, muss diese bei RWE anmelden. Vertraglich sind die Kunden von RWE dazu verpflichtet, einen Schaden unverzüglich, d. h. sofort, mitzuteilen. Eine Obliegenheitsverletzung kann von einer Kürzung der Schadensersatzansprüche bis zum gänzlichen Verlust führen. Wenn ein Landwirt Schadensersatzansprüche geltend machen will, muss er unverzüglich tätig werden.

RWE als Stromversorger haftet vertraglich, wenn der Konzern den Stromausfall zu vertreten hat und damit die Pflichten aus dem Stromlieferungsvertrag schuldhaft verletzt hat. Allerdings haben die Versorgungsunternehmen aufgrund der Regelungen in den allgemeinen Versorgungsbedingungen, welche dem Stromlieferungsvertrag zugrunde liegen, eine Haftung weitestgehend ausgeschlossen. So haften sie nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass RWE in seiner Presseerklärung vom 03.12.2005 verlauten ließ, dass die Schäden an den Masten auf eine "extreme Wettersituation mit daraus resultierender schwerer Eislast sowie Orkanböen" zurückzuführen seien. Die Stichhaltigkeit dieser Einlassung mag sich daran messen lassen, dass im benachbarten Holland die Strommasten nicht abknickten, obgleich es sich um die gleiche Schneelast gehandelt haben dürfte. RWE hat nicht einmal den Versuch unternommen, die Stromleitungen "aufzuheizen", um den Schnee und das Eis zum Schmelzen zu bringen. Wenn und soweit sich nachweisen lässt, dass RWE es grob fahrlässig unterlassen hat, die Strommasten in Stand zu halten, wird eine Haftung durch die vorgenannte Haftungsbeschränkung nicht ausgeschlossen. Bemerkenswert ist, dass RWE mit seiner Presseerklärung vom 03.12.2005 selbst eingeräumt hat, dass die Problematik der Brüchigkeit des Thomasstahles bekannt war. Aus diesem Grunde habe RWE 2900 der von ihnen betriebenen Masten der Sicherheitskategorie I zugeordnet, von denen bis heute rund 70 % saniert oder ausgetauscht worden sind. Der Rest wurde lediglich einer optischen Kontrolle unterzogen. Es liegt die Vermutung nahe, dass diese Masten im Münsterland standen.

Problematisch ist, dass RWE auch der Höhe nach ihre Haftung beschränkt hat. Bei 200.000 Abnehmern beläuft sich die Haftungsbeschränkung auf insgesamt 5 Mio. €. Vor diesem Hintergrund mag es zu erklären sein, warum RWE "freiwillig" einen Entschädigungsfonds in dieser Höhe eingerichtet hat. Für den einzelnen Tarifkunden ist die Haftung auf 2.500,00 € beschränkt. Die Haftungsbegrenzung, welche im sonstigen geschäftlichen Verkehr einer AGB-rechtlichen Kontrolle nicht standhalten dürfte, ist Verbraucherschützern schon seit Längerem ein Dorn im Auge. In der seit Jahren andauernden Diskussion um die Neufassung der allgemeinen Versorgungsbedingungen für Elektrizität steht die Haftungsbegrenzung im Mittelpunkt. Nach unserer Auffassung ist das Haftungsprivileg der Versorgungsunternehmen rechtlich bedenklich.

Zudem kommt eine Haftung des Netzbetreibers, welcher nicht identisch mit dem Stromlieferanten ist, in Betracht. Es handelt sich in diesem Fall um ein Tochterunternehmen der RWE mit Sitz in Recklinghausen. Der Netzbetreiber ist dazu verpflichtet, das Versorgungsnetz zuverlässig und leistungsfähig zu betreiben. Wenn und soweit dem Netzbetreiber nachgewiesen werden kann, dass er diese Verkehrssicherungspflicht verletzt hat, kommt eine Haftung in Betracht.

Schließlich muss eine Haftung der staatlichen Aufsichtsbehörden in Betracht gezogen werden. Wenn bei RWE ein Sanierungsrückstau zu verzeichnen ist, stellt sich die Frage, warum dies den Aufsichtsbehörden entgangen ist. Hier kommen Haftungen wegen Amtspflichtverletzungen in Betracht.

Wer jetzt nicht tätig wird, droht etwaige Schadensersatzansprüche zu verlieren.

Münster, 14.12.2005

Burkard Lensing, LL.M., Rechtsanwalt