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Anlegerberatung: Wirtschaftspresse = Pflichtlektüre

 

Entsteht einem Anleger ein wirtschaftlicher Schaden, weil der Berater es versäumt hat, ihn auf eine Verfügung der Aufsichtsbehörde hinzuweisen, den Vertrieb bestimmter Finanzprodukte zu unterlassen, über welche drei Tage zuvor im Handelsblatt berichtet wurde, so ist der Berater dem Kunden gegenüber zum Schadenersatz verpflichtet.

 

Der Anlageberater kann sich nicht damit verteidigen, das Handelsblatt nicht zu lesen. Eine zeitnahe Lektüre dieser Wirtschaftszeitung ist für jeden Anlageberater unverzichtbar – so der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 05.11.2009 (- III ZR 302/08 -).

 

Der Anlageberater vermittelte seinem Kunden am 10.12.1998 Anteile an einer stillen Beteiligungsgesellschaft. Am 07.12.1998 – also drei Tage zuvor – untersagte die Aufsichtsbehörde der Beteiligungsgesellschaft den Vertrieb der Finanzprodukte. Das Handelsblatt berichtet in einer Kurzmitteilung auf S. 23 über diese Untersagungsverfügung. Diese Mitteilung hatte der Berater nicht gelesen. Erst Mitte November erfuhr er hiervon. Zu diesem Zeitpunkt war es für seinen Kunden bereits zu spät. Seine Anlageentscheidung mündete in einen Schaden von rund 70.000,00 € ein. Diesen Betrag forderte der Anleger von seinem Berater zurück.

 

Das OLG Karlsruhe sah keinen Anlass, den Anlageberater für den entstandenen Verlust haftbar zu machen. Eine mangelhafte Aufklärung über die Risiken der Anlage könne es nicht feststellen. Eine Pflichtverletzung sei auch nicht darin zu sehen, dass der Berater seinen Kunden nicht über die im Handelsblatt veröffentlichte Untersagungsverfügung informiert habe. Eine Lektüre der kleinen Kurzmitteilung über das Vorgehen der Aufsichtsbehörde auf Seite 23 des Handelsblattes sei von dem Berater nicht zu erwarten gewesen - erst recht nicht, wenn die Beitrittsunterzeichnung am 10. Dezember 1998 erfolgt sei und der Artikel erst drei Tage zuvor am 07.12.1998 erschienen sei. Dieser Zeitraum sei zu knapp, um eine Pflichtverletzung bejahen zu können. Eine Auswertung von Tageszeitungen sei auch dann noch zeitnah und damit pflichtgemäß, wenn sie nur einmal wöchentlich erfolge.

 

Weniger Mitleid als das OLG Karlsruhe ließen die Bundesrichter walten. Der Bundesgerichtshof bejaht eine Schadensersatzpflicht des Anlageberaters. Der Anlageberater hafte aus dem abgeschlossenen Beratungsvertrag. Bei einem Beratungsvertrag sei der Anlageberater zu mehr als nur zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet. In Bezug auf das Anlageobjekt habe sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, welche für die jeweilige Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung seien. Deshalb habe sich ein Anlageberater, welcher sich in Bezug auf bestimmte Finanzprodukte als kompetent darstelle, (tages?)aktuelle Informationen über das Anlageobjekt zu verschaffen. Dazu gehöre auch die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse. Bei einer privaten Anleihe müsse danach über zeitnahe und gehäufte negative Berichte in der Börsenzeitung, der Financial Times Deutschland, dem Handelsblatt und der FAZ unterrichtet werden. Er müsse zwar nicht sämtliche vorgenannten Publikationsorgane vorhalten, allerdings müsse er dafür Sorge tragen, dass er über ausreichende Informationsquellen über die von ihm angepriesenen Finanzprodukte verfüge. Dass es sich bei dem Bericht im Handelsblatt lediglich um eine Kurzmitteilung drei Tage vor der Anlageentscheidung, gehandelt habe, entlaste den Anlageberater nicht. Er habe sich tagesaktuell über die wesentlichen Daten der von ihm angepriesenen Finanzprodukte zu informieren. Dies dürfe der Kunde erwarten. Hätte der Anlageberater sich pflichtgemäß über die Untersagungsverfügung der Aufsichtsbehörde unterrichtet, hätte er von der Beteiligung abraten müssen. Da er dies versäumt habe, sei er dem Anleger zum Schadensersatz verpflichtet. Im Ergebnis eine teure Wissenslücke für den Berater.

 

Münster, 10.03.2010

Burkard Lensing, LL.M., Rechtsanwalt
Fachanwalt für Versicherungsrecht