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Rentenkürzung bei Erwerbsminderungsrenten

Das Bundessozialgericht hat am 29.01.2008 (B 5a/5 R 32/07 R u. a.) erneut über die Frage des Rentenabschlags bei Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden, entschieden. In unserer Information vom 28.09.2006 hatten wir mitgeteilt, dass der 4. Senat des Bundessozialgerichts am 16.05.2006 entschieden hat, dass Rentenabschläge bei Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr beginnen, rechtswidrig sind. Der 4. Senat des BSG hatte hierfür keine gesetzliche Rechtsgrundlage gesehen.

Dieses Urteil wurde von der Deutschen Rentenversicherung nicht akzeptiert und hat für viel Aufsehen gesorgt. Zahlreiche Erwerbsminderungsrentner haben gegen ihre Rentenbescheide Widerspruch eingelegt oder Überprüfungsanträge gestellt. Die meisten dieser Verfahren ruhen, während einige weitere sog. Musterprozesse vor das Bundessozialgericht getragen wurden. Bemerkenswert ist, dass nach dem Urteil aus dem Jahre 2006 dem 4. Senat des Bundessozialgerichts die Zuständigkeit in Angelegenheiten der allgemeinen Rentenversicherung entzogen wurde. Es stellt sich hier die Frage, aus welchen Gründen dies geschah und wie es um die richterliche Unabhängigkeit bestellt ist.

In den Entscheidungen vom 29.01.2008 ist der 5a. Senat der Rechtsauffassung des 4. Senats aus dem Urteil im Jahre 2006 nicht gefolgt und hat die Rentenabschläge für rechtmäßig gehalten. Ein entsprechender gesetzgeberischer Wille finde in den Vorschriften des Sozialgesetzbuches VI (gesetzliche Rentenversicherung; SGB VI) deutlich seinen Ausdruck. Es ist schon erstaunlich, dass Abschläge bei Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung rechtmäßig sein sollen, obwohl diese nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt sind. Dies hat der 5a. Senat auch nicht behauptet, sondern lediglich ausgeführt, dass der gesetzgeberische Wille den Vorschriften des SGB VI zu entnehmen sei. Er zieht diese Erkenntnis aus dem systematischen Zusammenhang und gleichzeitig aus der Verlängerung der Zurechnungszeit. Offensichtlich werden hier gesetzgeberische Unzulänglichkeiten durch eine rentenversicherungsfreundliche Auslegung der Vorschriften des SGB VI geheilt. Der rechtsstaatlich korrekte Weg zur Beseitigung eines unter Umständen vom Gesetzgeber nicht gewollten und für die Rentenversicherungsträger scheinbar zu teuren Ergebnis einer Rentenreform wäre eine entsprechende Nachbesserung der gesetzlichen Grundlagen durch den Gesetzgeber. Dies ist jedoch bisher weder geschehen noch derzeit beabsichtigt.

Da der 4. Senat des Bundessozialgerichts, wie oben dargestellt, nicht mehr für Streitigkeiten aus der allgemeinen Rentenversicherung zuständig ist, hat der 5a. Senat den nunmehr ebenfalls zuständigen 13. Senat gefragt, ob dieser an der Rechtsprechung des 4. Senats aus dem Jahr 2006 fest hält. Sollte dies der Fall sein, müsste eine Entscheidung des gemeinsamen Senates beim BSG herbei geführt werden, um Rechtsklarheit zu schaffen. Derzeit sieht es jedoch eher danach aus, dass sich die Rentenversicherungsträger gegenüber einer unabhängigen Rechtsprechung zur Frage der Höhe der Erwerbsminderungsrenten durchgesetzt haben. Dies dürfte ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Sozialgerichtsbarkeit sein.

Münster, 01.02.2008

Klaus Kettner, Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht