Arbeitsrecht

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Die korrekte Berücksichtigung von variabler Vergütung (Umsatzbeteiligungen, Provisionen u.a.) bei Urlaub, Krankheit und anderen Tatbeständen der Entgeltfortzahlung

Die Vereinbarung einer leistungsbezogenen Erfolgsvergütung als Teil des monatlichen Gehaltes ist nicht nur bei Handelsvertreter:innen üblich. Auch in anderen Branchen und Berufen erhalten Arbeitnehmer:innen neben ihrem Grundgehalt eine variable Vergütung. Oft ist letztere ein wichtiger Bestandteil des Gehalts. Trotzdem zahlen Arbeitgeber:innen während des Urlaubs, an Feiertagen, bei Krankheit oder auch im Mutterschutz meistens nur das vereinbarte Grundgehalt. Aber ist dies richtig oder besteht (daneben) auch ein Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Provision?

 

Allgemeines zum Provisionsanspruch

Provisionsvereinbarungen finden sich in vielen Branchen und Arbeitsverhältnissen, so zum Beispiel im Vertrieb, im Einzelhandel, im Versicherungswesen aber auch bei angestellten (Zahn-) Ärzt:innen, Zahnhygieniker:innen oder Physiotherapeut:innen. Provisionen sind Erfolgsvergütungen, die zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden. Es handelt sich somit um eine weitere Vergütungsform, neben dem Grundgehalt. Für die Frage, ob eine Erfolgsvergütung vereinbart ist, ist die rechtliche Natur der Absprache entscheidend, nicht aber die konkrete Bezeichnung. Ob die Erfolgsvergütung beispielsweise als Provision, variable Vergütung, Umsatzbeteiligung oder Gratifikation bezeichnet wird, ist nicht von Bedeutung, solange der vertraglichen Regelung die Vereinbarung einer Erfolgsvergütung zu entnehmen ist.

Ist eine leistungsbezogene Erfolgsvergütung vereinbart, besteht das monatliche Bruttogehalt in der Regel aus einem festen Bestandteil (oft Fixum oder Garantiegehalt genannt) und dem auf der Erfolgsvergütung beruhenden variablen Bestandteil. Der variable Vergütungsbestandteil kann hierbei einen entscheidenden Teil der monatlichen Gesamtvergütung ausmachen.

Wird die tatsächliche Arbeitsleistung nicht erbracht, wird häufig nur das Grundgehalt ausgezahlt. Dies führt zum Beispiel bei Krankheit, im Urlaub oder auch im Mutterschutz zu spürbaren Gehaltseinbußen. Dies, obwohl das Gesetz hierzu klare Regelungen vorsieht und in vielen dieser Fälle ein Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Provision besteht.  

 

Die Entgeltfortzahlung und das Lohnausfallprinzip

Für einen überwiegenden Teil der Arbeitnehmer:innen ist das Arbeitsverhältnis von grundlegender Bedeutung. Das hieraus erworbene Arbeitsentgelt dient der Finanzierung des Lebensunterhaltes. Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, sieht das deutsche Rechtssystem eine Vielzahl von Tatbeständen vor, in denen von dem Grundsatz abgewichen wird, dass das Gehalt als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung gezahlt wird. Denn die Nichterbringung der Arbeitsleistung kann diverse Gründe haben, die die Arbeitnehmer:innen oft nicht zu verschulden haben. So kann es einerseits sein, dass sich die Arbeitgeber:innen in Annahmeverzug befinden und die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer:innen trotz des ordnungsgemäßen Angebots der Arbeitsleistung nicht annehmen. Beim Vorliegen eines Beschäftigungsverbotes können Arbeitnehmer:innen rechtlich daran gehindert sein, die Arbeitsleistung in Anspruch zu nehmen. Dies gilt zum Beispiel an gesetzlichen Feiertagen – mit Ausnahmen für bestimmte Berufe – oder während des Mutterschutzes. Andererseits können die Arbeitnehmer:innen an der Zurverfügungstellung der Arbeitsleistung gehindert sein, sei es weil sie zum Beispiel arbeitsunfähig erkrankt sind oder weil sie ihren gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Urlaub ausüben. In diesen Fällen haben Arbeitnehmer:innen trotzdem einen Anspruch auf Erhalt des vereinbarten Entgelts. Sie sind zumeist so zu stellen, wie sie stehen würden, wenn sie die Arbeitsleistung erbracht hätten. Dies führt dazu, dass auch die vereinbarte Erfolgsvergütung fortzuzahlen ist. Und das obwohl der der Vereinbarung zugrundeliegende Erfolg – beispielsweise die Vermittlung von Geschäften oder die Vornahme von Heilbehandlungen – nicht eingetreten ist, nicht eintreten konnte. Aus diesem Grund spricht man von einem fiktiven Provisionsanspruch.

 

Urlaub

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist ein Kernstück nicht nur des deutschen Arbeitsrechts, sondern auch des europäischen Sozialrechts. So hat der Europäische Gerichtshof die Bedeutung des bezahlten Urlaubes in diversen Urteilen hervorgehoben und die Rechte der Arbeitnehmer:innen gestärkt.

Gemäß § 11 BUrlG erhalten Arbeitnehmer:innen während des bezahlten Jahresurlaubes Urlaubsentgelt. Dieses bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst in den 13 Wochen vor Beginn des Urlaubes, § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG. Vereinfacht gesagt, wird hierbei ermittelt, wie viel die Arbeitnehmer:innen in den 13 Wochen vor Beginn des Urlaubes gearbeitet haben (Zeitfaktor) und wie viel sie durchschnittlich verdient haben (Geldfaktor). So lässt sich der Wert eines Urlaubstages berechnen, da hierfür der ermittelte Zeitfaktor mit dem ermittelten Geldfaktor multipliziert wird. Bei festen Arbeitszeiten und einem nicht von Zulagen, Zuwendungen oder weiteren Entgeltbestandteilen abhängigen Grundgehalt ist die Berechnung einfach möglich. Da die Arbeitnehmer:innen aber so gestellt werden sollen, wie sie gestanden hätten, wenn sie gearbeitet hätten und hierzu das durchschnittliche Gehalt der 13 Wochen vor dem Urlaub zugrunde gelegt wird, müssen auch Erfolgsvergütungen der 13 Wochen vor dem Urlaub berücksichtigt werden.

Berechnungsbeispiel: 

Urlaub vom 31.07.2023 bis zum 11.08.2023 (10 Urlaubstage)
Zeitraum 13-Wochen vor dem Urlaub: 01.05.2023 bis 30.07.2023
Arbeitstage pro Woche: 5

Mai Grundgehalt: 2.000 Euro + Provision: 2.600 Euro
Juni Grundgehalt: 2.000 Euro + Provision: 4.000 Euro
Juli Grundgehalt 2.000 Euro + Provision: 3.000 Euro

= 15.600 Euro Einkommen der letzten 13 Wochen
15.600 Euro / 13 Wochen = 1.200 Euro pro Woche
1.200 Euro / 5 = 240 Euro pro Tag
240 Euro x 10 Urlaubstage = 2.400 Euro Urlaubsentgelt

Ohne Berücksichtigung der Provision läge das Urlaubsentgelt nach der gleichen Berechnung bei lediglich ca. 923 Euro (6.000 / 13 = 461,53 / 5 = 92,30 *10 =923).

Dass das Urlaubsentgelt auch den Rückgang des Provisionseinkommens in der Urlaubszeit kompensieren soll, hat auch der EuGH bereits im Jahr 2014 entschieden (Urteil vom 22.5.2014 – C-539/12 Lock/British Gas Trading Limited). Anlass war ein Klage in England, mit welcher der Kläger fiktive Provision für die Zeit seines Urlaubes geltend machte.

In dem zitierten Urteil stellt das Gericht klar, dass der bezahlte Jahresurlaub ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union ist, welcher in Art. 31 der Grundrechtscharta verankert ist. Bezahlter Jahresurlaub im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG bedeute, dass die Arbeitnehmer:innen das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten müssten. Der Anspruch auf Jahresurlaub und der Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts seien hierbei zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch die Zahlung des Urlaubsentgelts sollten die Arbeitnehmer:innen in die Lage versetzt werden, in der sie sich befinden würden, wenn sie gearbeitet hätten. Hierbei seien auch Nachteile zu kompensieren, die dadurch entstehen können, dass die Arbeitnehmer:innen während ihres Urlaubes keine weiteren Provisionsansprüche für die Folgezeit generieren können. In solchen Fällen würden sie durch den Urlaub in der Zeit nach dem Urlaub wenig Geld bekommen. Deshalb sei auch in Urlaubszeiten eine fiktive Provision zu berechnen, auszuzahlen und den Folgemonaten zugrunde zu legen. Hierbei sind alle gewöhnlichen Entgeltbestandteile zu berücksichtigen, auch solche, die an die persönliche oder berufliche Stellung der Arbeitnehmer:innen anknüpfen. Andernfalls könnten sich die Arbeitnehmer:innen aufgrund der wirtschaftlichen Nachteile gezwungen sehen, den Urlaub nicht anzutreten.

Während des bezahlten Jahresurlaubs wirkt sich die fiktive Provision somit nicht nur auf die Höhe des Urlaubsentgelts aus, sondern je nach Vereinbarung auch auf die Provision, die in der Zeit nach dem Urlaub gezahlt werden muss, wenn diese von der durchschnittlichen Provision der Vormonate abhängt.

 

Krankheit

Auch während der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, § 3 EFZG, sollen Arbeitnehmer:innen entsprechend des Lohnausfallprinzips so gestellt werden, wie sie stehen würden, wenn sie an der Erbringung der Arbeitsleistung nicht verhindert gewesen wären. Entscheidend ist hierbei nicht, ob die Arbeitnehmer:innen an den konkreten betroffenen Ausfalltagen eine Provision verdient hätte, in dem sie zum Beispiel eine Behandlung vorgenommen hätten, für die sie eine Provision erhalten hätten. Es ist lediglich entscheidend, welche Provision die Arbeitnehmer:innen nach der Regel der Wahrscheinlichkeit erhalten hätten – mit anderen Worten, was eine gesunde Person im Gegensatz zu einer erkrankten Person hätte erarbeiten können.

Die Berechnung erfolgt nach § 4 EFZG ebenfalls anhand des Zeitfaktors und des Geldfaktors. Allerdings legt die Norm anders als § 11 BUrlG keinen Referenzzeitraum fest. Wenn der Bezugszeitraum unklar ist, kann das Gericht eine Schätzung vornehmen, § 287 Abs. 2 ZPO. Das Bundesarbeitsgericht hat je nach Einzelfall unterschiedliche Referenzzeiträume angewandt. Diese lagen mal bei vier Wochen, mal bei 12 Monaten und sind maßgeblich davon abhängig, wie stark die Schwankungen sind, denen der Provisionsanfall unterworfen ist und wie lange das Arbeitsverhältnis bereits besteht. Gerade bei schwankenden Provisionen ist nach der Rechtsprechung in der Regel ein Referenzzeitraum von 12 Monaten angemessen. Unabhängig von dieser Frage muss für die Zeit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aber die durchschnittliche Provision weitergezahlt werden.

 

Feiertage

Auch an Feiertagen ist das Gehalt gemäß § 2 Abs. 1 EFZG entsprechend dem Lohnausfallprinzip zu zahlen. Die Berechnung erfolgt wie bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 4 EFZG. Auch für Feiertage ist somit ein fiktiver Provisionsanspruch zu zahlen.

 

Mutterschutz

Während des Mutterschutzes gemäß § 3 MuSchG erhält die (angehende) Mutter Mutterschaftsgeld. Bei im Arbeitsverhältnis stehenden Frauen wird ein Teil hiervon von der Krankenkasse gezahlt. Darüber hinaus haben sie einen Anspruch auf einen Zuschuss der Arbeitgeber:innen, §§ 19, 20 MuSchG. Der Zuschuss ist hierbei der Unterschied zwischen dem von den Krankenkassen zu zahlendem Betrag von 13 Euro pro Tag und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt. Der Durchschnitt wird hierbei anhand der letzten drei Monate vor Beginn der Schutzfrist vor der Entbindung ermittelt. Ist eine variable Vergütung Teil des vereinbarten Arbeitsentgeltes, ist somit auch diese zu berücksichtigen.

 

Freistellung von Betriebsratsmitgliedern nach § 37 Abs. 2 BetrVG

Ein weiterer Fall der Anwendung des Lohnausfallprinzips ist die Freistellung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG. § 37 Abs. 2 BetrVG begründet zwar keinen eigenen Vergütungsanspruch, sichert aber den Entgeltanspruch der freigestellten Betriebsratsmitglieder aus § 611a BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag ab. Auch hieraus lässt sich der Grundsatz entnehmen, dass das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen ist, welches die betroffenen Betriebsratsmitglieder erzielt hätten, wenn sie durchgängig die normale Arbeitsleistung erbracht hätten. Bei der hypothetischen Berechnung sind alle Vergütungsbestandteile und deren Besonderheiten zu berücksichtigen. Wird der Berechnung einer Bonuszahlung hierbei ein Zielerreichungsgrad zugrunde gelegt, ist zu schauen, welchen Zielerreichungsgrad das Betriebsratsmitglied bei hypothetischer Betrachtung ohne die Arbeitsbefreiung erreicht hätte.

 

Achtung Verfall!

Die meisten Arbeitsverträge und Tarifverträge enthalten sogenannte Verfall- oder Ausschlussfristen. Diese Klauseln sehen vor, dass wechselseitige Ansprüche innerhalb einer in der Regel relativ kurzen Frist, meist zwischen drei und sechs Monaten, verfallen, wenn sie nicht vorher geltend gemacht werden. Hintergrund ist, dass die reguläre Verjährungsfrist von drei Jahren als zu lang für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis angesehen wird, da schon zuvor Rechtssicherheit bestehen soll. Als Einschränkung dieser großzügigen Erweiterung der gesetzlichen Verjährungsregeln hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in den letzten Jahren jedoch eine Vielzahl von strengen Beschränkungen zur Wirksamkeit dieser Klauseln, insbesondere zu solchen in Arbeitsverträgen, ausgeurteilt. So sind in jüngeren Arbeitsverträgen Verfallklauseln beispielsweise unwirksam, wenn sie den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehmen oder zur Geltendmachung die Schriftform anstelle der Textform vorsehen. Sollten Arbeitnehmer:innen ihre fiktiven Provisionsansprüche für die Vergangenheit geltend machen wollen, lohnt sich zumeist auch die rechtliche Überprüfung, ob die im Arbeitsvertrag enthaltenen  Verfallklauseln wirksam sind.

 

Fazit

Arbeitnehmer:innen, die eine variable Vergütung vereinbart haben, sollten im Falle  der Nichterbringung der Arbeitsleistung genau schauen, ob sie korrekt vergütet werden. Sollte die fiktive Provision nicht ausgezahlt worden sein, kann ein weiterer Zahlungsanspruch bestehen. Diesen gilt es im Rahmen der Verfall- und Verjährungsfristen geltend zu machen.

Münster, 16.01.2024

Elena Gabel, Rechtsanwältin

Marius Schaefer, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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