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Leitsatz des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 25.07.2002 - 3 ZR 207/01

Der zum ständigen Vertreter des Hauptgeschäftsführers bestellte Geschäftsführer einer Handwerkskammer ist Organvertreter i. S. des § 14 I Nr. 1 KSchG. Eine Befristung seines Anstellungsvertrages war daher, ohne Rücksicht darauf, ob ein Arbeitsverhältnis vorlag, jedenfalls vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen vom 21.12.2000 (BGBl I,1966) zulässig.

I.

Der Kläger wurde am 17. Mai 1995 von der Vollversammlung der beklagten Handwerksammer neben dem Hauptgeschäftsführer zum weiteren Geschäftsführer und zugleich zum ständigen Vertreter des Hauptgeschäftsführers gewählt. Er erhielt sodann mit Wirkung vom 17. Mai 1995 einen auf fünf Jahre befristeten Anstellungsvertrag, der u. a. die Anwendung der Vorschriften des BAT vorsah. Über die Wirksamkeit der Befristung entstand Streit.

In der Satzung heißt es u. a.:

Organe

§ 3

(1) Die Organe der Handwerkskammer sind

1. die Mitgliederversammlung (Vollversammlung)

2. der Vorstand

3. die Ausschüsse

Vorstand

§ 16

(1)

Der Vorstand der Handwerkskammer besteht aus dem Vorsitzenden, Präsidenten, zwei Stellvertretern (Vize-Präsidenten), von denen einer Gesellenmitglied sein muss und neun weiteren Mitgliedern, und zwar sechs Vertretern der selbständigen Gewerbetreibenden sowie drei Gesellenvertretern.

§ 18

(2)

Dem Vorstand obliegt die Verwaltung der Handwerkskammer. Der Präsident und der Hauptgeschäftsführer, im Verhinderungsfalle ihre Vertreter, vertreten gemeinsam die Kammer in allen öffentlich- und zivilrechtlichen Angelegenheiten gerichtlich und außergerichtlich.

...

(3)

Die nach Gesetz oder Satzung von der Handwerkskammer zu erfüllenden Aufgaben werden vom Vorstand wahrgenommen soweit nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder Satzungsbestimmungen oder eines Beschlusses der Vollversammlung die Aufgaben anderen Organen der Handwerkskammer übertragen sind. Der Vorstand kann einzelne Vorgänge dem Hauptgeschäftsführer zur selbständigen Erledigung überweisen.

...

(5)

Die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung obliegt dem Hauptgeschäftsführer; insoweit kann er die Handwerkskammer vertreten.

Geschäftsführung

§ 24

(1)

Die Geschäfte der Kammer werden nach Weisung des Vorstandes vom Hauptgeschäftsführers und unter seiner Leitung von weiteren nach Bedarf angestellten Dienstkräften geführt.

...

(3)

Für den Hauptgeschäftsführer ist durch Beschluss der Vollversammlung ein ständiger Stellvertreter zu bestellen, der im Falle der Vertretung gleiche Rechten und Pflichten wie der Hauptgeschäftsführer hat;

(4)

Die Einstellung der nicht im Beamtenverhältnis stehenden Bediensteten erfolgt ... durch den Vorstand; er kann diese Befugnis ganz oder teilweise auf den Hauptgeschäftsführer übertragen. Für die nicht im Beamtenverhältnis stehenden Bediensteten gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze und ... die für entsprechende Landesbedienstete getroffenen Tarifvereinbarungen.

...

(5)

Der Hauptgeschäftsführer ist Dienstvorgesetzter aller Kammerbediensteten.

(6)

Der Hauptgeschäftsführer ist dem Vorstand der Handwerkskammer und der Aufsichtsbehörde für die gewissenhafte Erfüllung der ihm obliegenden Amtspflichten und für die ordnungsgemäße Erledigung der den übrigen Bediensteten der Kammer unter seiner Leitung übertragenen Verwaltungsgeschäfte verantwortlich.

(7)

Der Hauptgeschäftsführer nimmt beratend an den Sitzungen der Kammerorgane teil.

Der Kläger wurde bis zum 17. Mai 2000 beschäftigt. Einer Verlängerung des Vertrages stimmte der Vorstand nicht zu.

Die auf Entfristung gerichtete Klage wurde vom Arbeitsgericht Osnabrück und sodann dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen an die Zivilgerichtsbarkeit verwiesen. Das Landgericht Osnabrück hielt die Befristung für wirksam. Das Oberlandesgericht Oldenburg erklärte die Befristung für unwirksam und verurteilte die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers. Der Bundesgerichtshof stellte das Urteil des Landgerichts wieder her:

Wegen seiner besonderen Rechtsstellung als Geschäftsführer und ständiger Vertreter des Hauptgeschäftsführers genieße der Kläger nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz, sodass insoweit auch einer Befristung des Anstellungsvertrags keine Bedenken entgegenstünden. Maßgebend für den Ausschluss des Kündigungsschutzes von Organmitgliedern sei der Gedanke, dass der gesetzliche Vertreter das Willensorgan der juristischen Person sei, durch das sie handele und das für sie somit notwendig zugleich Arbeitgeberfunktion ausübe. Es komme nicht darauf an, dass die Satzung den Kläger nicht ausdrücklich den Organen der Körperschaft zuordne. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass der Kläger "als gesetzlicher Vertreter nach außen Repräsentant" der juristischen Person sei. Aufgrund dieser Rechtsstellung gehöre er "in den hier maßgebenden organisationsrechtlichen Sinn zu den (Leitungs-) Organen mit Arbeitgeberfunktion, die das Gesetz aus diesem Grund aus dem Kündigungsschutz" ebenso wie der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit herausnehme.

II. Die Entscheidung überzeugt nicht und bedarf alsbald einer Korrektur.

Sie eröffnet gefährliche Perspektiven einer unvertretbaren Einschränkung des Kündigungsschutzes.

1.

Zunächst sind Gesetzes- und Satzungswortlaut zu beachten: Lediglich Organmitglieder genießen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz. Die Satzung bezeichnet den Vorstand als Organ, nicht aber den Hauptgeschäftsführer und den Geschäftsführer. Mit dieser Begründung hatte das Oberlandesgericht der Entfristungsklage statt gegeben.

2.

Zu Unrecht meint der BGH, den Geschäftsführer dennoch den Organen zuordnen zu können, da er als "gesetzlicher Vertreter nach außen Repräsentant" der juristischen Person sei und damit "Arbeitgeberfunktion" ausübe. Richtig ist lediglich, dass der Geschäftsführer gesetzlicher Vertreter ist und dass er Arbeitgeberfunktion ausübt. Nicht richtig ist es, ihn schon deswegen als "Repräsentanten" des Arbeitgebers anzusehen: Die bloße Feststellung einer "Arbeitgeberfunktion" hilft nicht weiter: Auch der Vorgesetzte, der im Auftrag des Arbeitgebers eine Abmahnung ausspricht, nimmt Arbeitgeberfunktionen wahr, ohne dass ihm dies zum Organ machen würde. Aber auch die bloße Vertretungsbefugnis macht für sich gesehen noch niemanden zum Organ. Die Vertretungsbefugnis stellt lediglich die Handlungsfähigkeit der juristischen Person im Außenverhältnis sicher. Auch ein umfassendes rechtliches Können im Außenverhältnis macht den Vertreter aber nur dann zum "Repräsentanten" der juristischen Person, wenn dem ein entsprechendes Dürfen im Innenverhältnis entspricht.

a)

Damit ist allerdings nicht das Innenverhältnis gegenüber der Mitgliederversammlung bzw. der Gesellschafterversammlung bei einer Kapitalgesellschaft gemeint. Insoweit stellt das BAG in einer jüngeren Entscheidung (17.01.2002, 2 AZR 719/00; NZA 2002, 854 ff.) klar, dass das Gesetz "nur auf die Organstellung und die gesetzliche Vertretungsmacht abstellt, nicht auf ihren Umfang". Dies bedeutet, dass jemand seine Organstellung nicht dadurch verliert, dass er im Innenverhältnis zur Mitgliederversammlung/Gesellschafterversammlung Einschränkungen bei der Ausübung der Vertretungsmacht unterworfen ist.

b)

Darum geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht. Hier geht es vielmehr um das Innenverhältnis innerhalb der zur Vertretung berufenen Personen: Insoweit sieht die Satzung eine Hierarchie vor, nach der allein der Vorstand als Organ bzw. Repräsentant der Handwerkskammer angesehen werden kann, nicht aber der Hauptgeschäftsführer und erst recht nicht der Geschäftsführer.

Zur Repräsentation gehören die "unternehmerische Willensbildung und Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktion" [vgl. BAG, Urteil vom 26.05.1999, 5 AZR 664/98, NZA 987 ff (988)]. Zur unternehmerischen Willensbildung ist nach der Satzung allein der Vorstand aufgerufen, der dem Hauptgeschäftsführer und dem Geschäftsführer vorgesetzt ist. Dem Vorstand obliegt die Verwaltung der Handwerkskammer; nach "seinen Weisungen" werden die Geschäfte vom Hauptgeschäftsführer geführt. Nur "unter der Leitung" des Letzteren werden die weiteren Dienstkräfte einschließlich des Geschäftsführers in die Geschäftsführung einbezogen (§§ 18 und 24 der Satzung). Dass dabei der Geschäftsführer auch in seiner Eigenschaft als ständiger Vertreter nur "in der zweiten Reihe" hinter dem Hauptgeschäftsführer steht, wird vor allem durch § 24 Abs. 3 der Satzung klar gestellt, wonach er lediglich als Verhinderungsvertreter anzusehen ist. Vor dem Hintergrund dieser deutlichen Hierarchisierung in der Satzung kann allein der Vorstand als Repräsentant der Handwerkskammer angesehen werden. Nur der Vorstand ist z. B. dazu aufgerufen, die (verbands-) politische Willensbildung in der Handwerkskammer zu gestalten, zu beeinflussen und nach außen zu dokumentieren. Insoweit ist die "Arbeitgeberfunktion" von Hauptgeschäftsführer und ständigem Vertreter derart beschnitten, dass von einer "Repräsentanz" nicht die Rede sein kann. Daher ist es nur konsequent und keinesfalls durch Auslegung "korrekturbedürftig", wenn die Satzung allein den Vorstand, nicht aber den Hauptgeschäftsführer und seinen ständigen Vertreter zu den Organen rechnet. Für die erweiternde Auslegung des Bundesgerichtshofs gibt es keinerlei Rechtfertigung.

3.

Aus der Rechtswegbestimmung in § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ergibt sich nichts anderes:

Danach sind Arbeitnehmer nicht diejenigen Personen, die "kraft Gesetzes, Satzung und Gesellschaftsvertrag allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person berufen sind." Nach Auffassung des BGHs sollen die Anwendungsbereiche beider Vorschriften übereinstimmen. Dies ist letztlich nicht entscheidungserheblich: In keinem Fall kann die Rechtswegbestimmungen des § 5 herangezogen werden, um den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzausschlusses in § 14 KSchG auszuweiten. Auch im Rahmen der Rechtswegbestimmung ist vielmehr der Organbegriff ("Mitglied des Vertretungsorgans") materiell zu bestimmen: Mitglied des "Vertretungsorgans" ist folglich nicht, wer als Mitglied des Kreises der zur Vertretung berufenen Personen nach Weisungen der anderen arbeitet.

4.

Die Auffassung des Bundesgerichtshofs öffnet einer unvertretbaren Verkürzung des Kündigungsschutzes das Tor: Dazu brauchte man nur "intelligente" Vertretungsregelungen zu schaffen, die durch eine formale Vertreterposition den Kündigungsschutz gegenstandslos machen würden, während die Betroffenen gleichzeitig im Innenverhältnis nichts anderes als weisungsabhängige Arbeitnehmer wären, von denen nie zu "befürchten" wäre, dass sie den Arbeitgeber "repräsentierten".

Die zunehmende soziale Problematik des Kündigungsausschlusses in § 14 KSchG hat der BGH weiter verschärft, ohne das Problem überhaupt nur zu erkennen, geschweige denn sich mit ihr auseinander zu setzen: Zutreffend weist Rost (KR, 6. Auflage § 14 Rn. 3) darauf hin, dass der Ausschluss des Kündigungsschutzes für Organvertreter, mit denen ein Arbeitsverhältnis begründet ist, auf der Vorstellung des Gesetzgebers beruhe, dass diese Personengruppe nicht sozial schutzbedürftig sei. Damit werde allerdings verkannt, dass sehr wohl eine soziale Schutzbedürftigkeit für solche Organvertreter bestehe, die entweder nicht oder nur geringfügig am Unternehmenskapital beteiligt seien. In rechtspolitischer Hinsicht sei zu erwägen, diesen Personen zumindest einen Abfindungsschutz zu gewähren.

Dies ist umso bedeutsamer, als durch z. B. Ausgründungen im Wege des sog. Outsourcings im großen Umfang Geschäftsführerpositionen begründet werden, deren soziale Schutzbedürftigkeit außer Frage steht: Wenn man dem ehemaligen Abteilungsleiter "anbietet", einer betriebsbedingten Kündigung im Zusammenhang mit dem Outsourcing seiner Abteilung zu entgehen, falls er bereit sei, Geschäftsführer in der neu gegründeten, die Abteilung übernehmenden GmbH zu werden, kann von einer grundsätzlich ausgeglichenen Verhandlungsposition nicht mehr die Rede sein. Die Vertragsfreiheit ist insoweit nicht geeignet, soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Der BGH hat dieses Problem nicht nur nicht beachtet sondern noch verschärft, indem er auch dem "Vertreter des Vertreters" den Kündigungsschutz nimmt.

Zusammenfassung:

1. Der Ausschluss des Kündigungsschutzes nach § 14 Abs. 1 KSchG ist materiell zu bestimmen: Im Sinne dieser Vorschrift ist daher nur Organ, der die Körperschaft repräsentiert - unabhängig davon, ob Satzung oder Gesellschaftsvertrag ihn nach ihrem Wortlaut als Organ ausweisen.

2. Wer tatsächlich Organ (-mitglied) ist, genießt auch dann keinen Kündigungsschutz, wenn er Einschränkungen in der Vertretungsmacht gegenüber Mitgliederversammlung oder Gesellschafterversammlung unterliegt.

3. Organ (-mitglied) ist nicht, wer innerhalb einer Mehrheit von vertretungsbefugten Personen nach Weisungen der anderen arbeitet.

4. Rechtspolitisch ist der generelle Ausschluss des Kündigungsschutzes für Organmitglieder nicht mehr vertretbar.

Münster, 30.07.2003