Versicherungsrecht
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Was bringt das neue Versicherungsvertragsgesetz?

Ihren 100. wird die alte Dame nicht mehr erleben. Das 1908 erlassene Versicherungsvertragsgesetz wird grundlegend erneuert. Das neue Versicherungsvertragsgesetz tritt zum 1.1.2008 in Kraft.

Die Reform steht unter dem Leitstern des Verbraucherschutzes.

Was ändert sich?

  • Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips
    Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers – etwa verspätete Anzeige des Versicherungsfalles – führten bislang nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip zum vollständigen Verlust des Versicherungsschutzes. Künftig sollen die Folgen einer Obliegenheitsverletzung danach bemessen werden, wie stark das Verschulden des Versicherungsnehmers wiegt. Im Grundsatz kann der Versicherer die Versicherungsleistungen lediglich kürzen.
  • Grobe Fahrlässigkeit
    Sicherten die Eltern Streichhölzer und Kerzen nicht vor dem Zugriff der Kinder oder verließ der gestresste Single die Wohnung, obwohl die Waschmaschine lief, blieb der Versicherungsnehmer wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles auf dem Brand- oder Wasserschaden sitzen. Künftig darf der Versicherer den Leistungsanspruch lediglich um einen dem Verschuldensgrad angemessenen Prozentsatz kürzen.
  • Versicherungsvermittlung
    Für Versicherungsvermittler werden weitreichende neue Informations- und Beratungspflichten eingeführt. Bei Beratungsfehlern macht sich der Vermittler schadensersatzpflichtig. Das Beratungsgespräch ist zu dokumentieren.
  • Gerichtsstand
    Bisher mussten Versicherungsnehmer reisefreudig sein. Im Grundsatz waren Versicherungsunternehmen an ihrem Sitz zu verklagen. Künftig gilt der Gerichtsstand des Versicherungsnehmers. Der Versicherte kann seine Versicherung vor Ort verklagen.
  • Direktanspruch gegen Haftpflichtversicherer
    Zukünftig hat der Geschädigte bei allen gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherungen einen Direktanspruch gegen den Versicherer. Dies war bislang nur bei der Kfz-Haftpflichtversicherung der Fall.
  • Abschaffung des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie
    Wird der Versicherungsvertrag im Laufe des Versicherungsjahres gekündigt oder durch Rücktritt beendet, muss der Versicherungsnehmer die Prämie zukünftig nur noch bis zu diesem Zeitpunkt zahlen. Der bislang geltende Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie wird aufgegeben. Nach der bisherigen Gesetzeslage schuldet der Versicherungsnehmer die volle Jahresprämie auch dann, wenn der Versicherungsvertrag nicht zum Ende der Versicherungsperiode, sondern im Laufe des Versicherungsjahres endet.
  • Abschaffung der Ausschlussfrist
    Die bisherige Klageausschlussfrist von sechs Monaten wird abgeschafft. Bislang musste der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf Versicherungsleistungen innerhalb von sechs Monaten geltend machen, wenn der Versicherer die Leistung schriftlich abgelehnt hatte.
  • Vorvertragliche Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers
    Der Versicherungsnehmer muss vor Vertragsschluss grundsätzlich die Umstände anzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand für das versicherte Risiko erheblich ist, liegt damit nicht mehr beim Versicherungsnehmer, sondern beim Versicherer. Verstöße des Versicherungsnehmers gegen die Anzeigepflicht berechtigen den Versicherer nur noch dann zum Rücktritt vom Vertrag, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat. Bei grober Fahrlässigkeit kann der Versicherer den Vertrag lediglich unter bestimmten Voraussetzungen mit Wirkung für die Zukunft kündigen oder die Fortsetzung zu anderen Bedingungen verlangen. Bislang hatte der Versicherer in allen Fällen ein Rücktrittsrecht.
  • Abschaffung des Policenmodells
    Das sog. Policenmodell – eine nationale Besonderheit – wird abgeschafft. Die Versicherer scheuen, ihren Kunden vor Vertragsschluss die allgemeinen Versicherungsbedingungen auszuhändigen. Sie fürchten angesichts der Fülle und der schweren Verständlichkeit der Versicherungsbedingungen würde der potenzielle Kunde Abstand von einem Vertragsschluss nehmen. Nach dem Policenmodell stellte der potenzielle Kunde einen Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrages. Erst mit Annahme durch den Versicherer wurden die Versicherungsbedingungen übergegeben. Nunmehr müssen die Versicherungsbedingungen dem potenziellen Kunden bereits bei Ausfüllen des Antrags übergeben werden. Der Verbraucher erhält so die Chance, das Rechtsprodukt „Versicherung“ eingehend zu prüfen.

Münster, 13.08.2007

Burkard Lensing, LL.M., Rechtsanwalt
Fachanwalt für Versicherungsrecht, Master of Insurance Law