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Berufsunfähigkeitsversicherung: Welche Einkommenseinbußen muss der Versicherte hinnehmen, um seine BU-Rente weiterhin zu erhalten?

Berufsunfähige müssen grundsätzlich Einkommenseinbußen hinnehmen. Wenn der Versicherer nachweisen kann, dass der Erkrankte einen sog. Vergleichsberuf ausüben kann, verliert der Versicherte seine Ansprüche auf Zahlung einer BU-Rente. Wirtschaftlich vergleichbar ist der Vergleichsberuf mit dem bislang ausgeübten Beruf grundsätzlich auch dann, wenn er mit einer Einkommensminderung einhergeht. Bei Selbständigen kommt es darauf an, ob sie ihren Geschäftsbetrieb so umorganisieren können, dass er weiterhin aufrecht erhalten werden kann. Auch hier sind Einkommenseinbußen grundsätzlich hinzunehmen. Grenze ist die Zumutbarkeitschwelle. Die Gretchenfrage ist nur: In welcher Höhe ist eine Einkommenseinbuße zumutbar ?

Das Landgericht Dortmund (Urt. v. 29.05.2008 – 2 O 20/08 -) meint, dass eine Einkommensminderung um rund 24 % bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von weniger als 1.000,00 € nicht die Lebensstellung des Versicherten wahrt. Eine derartige Einkommensschmälerung sei nicht zumutbar.

Der Versicherte war in gesunden Tagen selbständig. Er unterhielt ein Geschäft zum Verkauf und zur Montage von Satellitentechnik. Nebenbei verkaufte er Tonträger. 2004 erkrankte er. Im November 2004 erkannte der Versicherer die Berufsunfähigkeit an. Der Versicherte litt an einer Funktionsstörung der Wirbelsäule und der Schultergelenke. Der Gutachter bezifferte den Grad der Berufsunfähigkeit mit 60 %. Der Versicherte bezog daraufhin eine BU-Rente. Er gab sein Ladenlokal auf. Allerdings vertrieb er von seinem Einfamilienhaus aus über Ebay weiterhin Tonträger und Optikzubehör. Im Jahr tätigte er ca. 2.000 Verkäufe.

2007 leitete der Versicherer ein Nachprüfungsverfahren ein, um zu überprüfen, ob sich die gesundheitliche Situation des Versicherten verbessert habe. Dabei erfuhr der Versicherer von der neuen Geschäftstätigkeit des Versicherten. Er stellte sich auf den Standpunkt, dem Versicherten sei eine berufliche Umorganisation gelungen, welche auch wirtschaftlich gleichwertig sei, und stellte die Zahlungen ein.

Hiergegen klagte der Versicherte – nach Auffassung des Landgerichtes Dortmund zu Recht. Die Tätigkeit als Ebay-Verkäufer im Vergleich zu der bisherigen Tätigkeit als selbständiger Satellitentechniker entspreche nicht in jeder Hinsicht der vormaligen Lebensstellung des Versicherten. Jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht sei die soziale Vergleichbarkeit der Berufstätigkeiten vor und nach dem Anerkenntnis nicht gewahrt. Dies folge aus einer Vergleichsbetrachtung der Einkommensverhältnisse. Diese Vergleichsbetrachtung dürfe gerade bei Selbständigen, deren Einkommen von der Wirtschaftslage geprägten Schwankungen unterläge, nicht allein starr auf den Jahresverdienst abstellen. Notwendig sei vielmehr die Betrachtung eines repräsentativen Zeitraums. Die Lebensstellung werde nicht durch einen einmaligen Verdienst, sondern nur durch das über einen längeren Zeitraum hinweg tatsächlich erwirtschaftete Einkommen geprägt. Der repräsentative Zeitraum sei jeweils im konkreten Einzelfall zu ermitteln. Bei Selbständigen sei idealerweise auf einen Zeitraum von drei bis vier Jahren abzustellen. Hier habe der Versicherte in den Jahren 2001 bis 2004 durchschnittlich 11.530,25 € verdient. Aus seinen Ebay-Verkäufen habe er Einkünfte in Höhe von durchschnittlich 8.763,50 € erwirtschaften können. Der Vergleich der Durchschnittseinkommen ergebe eine Einkommensminderung von rund 24 %. Damit werde die soziale Lebensstellung des Versicherten in wirtschaftlicher Hinsicht nicht gewahrt. Zwar lasse sich angesichts der Bandbreite individueller Einkommen eine generelle Quote nicht festlegen. Eine Einkommensminderung, welche sich als spürbarer wirtschaftlicher Abstieg darstelle, sei jedoch nicht mehr zumutbar. Auch hier komme es auf eine einzelfallbezogene Betrachtung an. Ausschlaggebend sei das niedrige Einkommensniveau des Versicherten. Auch in gesunden Tagen habe er nicht einmal 1.000,00 € monatlich an Einkünften erzielen können. Angesichts des niedrigen Einkommens sei eine Einkommensminderung in Höhe von 24 % unzumutbar.

Das Landgericht Dortmund verurteilte den Versicherer dazu, die BU-Rente wieder zu zahlen.

Münster, 23.09.2008

Burkard Lensing, LL.M., Rechtsanwalt
Fachanwalt für Versicherungsrecht