Familienrecht
Rechtsinfo Archiv

Zurück

Familienrecht
Unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprüche für die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder verfassungswidrig!

Nach der Trennung und Scheidung hat ein Ehegatte für den Unterhalt des anderen Ehegatten aufzukommen, solange und soweit von diesem wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. So besteht keine Erwerbsobliegenheit bei Betreuung eines Kindes bis zum Alter von acht Jahren bzw. bis zum Beginn der dritten Schulklasse. Eine teilweise Erwerbsobliegenheit besteht bei Betreuung eines Kindes im Alter von neun bis 15 Jahren, wobei nach den Umständen des Einzelfalles eine stundenweise bis halbtägige Erwerbstätigkeit verlangt wird. Die volle Erwerbsobliegenheit tritt ein bei Betreuung eines Kindes im Alter von 15 bis 16 Jahren.

Demgegenüber ist der in § 1615 l BGB normierte Anspruch einer Mutter, die ihr nichteheliches Kind großzieht und deshalb einer Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, deutlich schwächer ausgestaltet. Die Verpflichtung des Vaters dieses Kindes zur Leistung von Betreuungsunterhalt endet spätestens drei Jahre nach der Geburt. Die Unterhaltspflicht besteht über die Dreijahresfrist hinaus nur, wenn es unter Berücksichtigung der Kindesbelange grob unbillig wäre, den Unterhaltsanspruch nach Ablauf der Frist zu versagen (z.B. weil die Arbeitsaufnahme wegen der Notwendigkeit der Kindesbetreuung aufgrund Behinderung des Kindes nicht möglich ist).

Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Beschluss vom 16.08.2004 einen Rechtsstreit ausgesetzt und die Frage der Vereinbarkeit des § 1615 l BGB mit dem Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt. Die grundsätzliche Beschränkung des Unterhalts auf drei Jahre verstößt nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm gegen das im Grundgesetz bestimmte Gebot der Gleichbehandlung von nichtehelichen und ehelichen Kindern.

Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat nunmehr mit Beschluss vom 28.02.2007 (Az. 1 BvL 9/04) über den Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Hamm entschieden. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die unterschiedliche Regelung der Dauer des Unterhaltsanspruchs eines kinderbetreuenden Elternteils mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Vielmehr verstößt diese gegen das in Art. 6 Abs. 5 GG an den Gesetzgeber gerichtete Gebot, nichtehelichen Kindern gleiche Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung zu schaffen wie ehelichen Kindern.

Der Gesetzgeber ist nunmehr verpflichtet, bis zum 31.12.2008 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung kommen die bestehenden Regelungen weiter zur Anwendung.

Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass der Gesetzgeber mit der Befristung in § 1615 l BGB dem in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Verbot einer Schlechterstellung nichtehelicher Kinder gegenüber ehelichen Kindern zuwidergehandelt habe. Art. 6 Abs. 5 GG verbiete, mit zweierlei Maß zu messen und bei ehelichen Kindern eine erheblich längere persönliche Betreuung für angezeigt zu halten als bei nichtehelichen Kindern. Denn wie viel ein Kind an persönlicher elterlicher Betreuung und Zuwendung bedürfe, richte sich nicht danach, ob es ehelich oder nichtehelich geboren sei. Durch die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche wegen der Betreuung von Kindern werde das nichteheliche Kind gegenüber dem ehelichen Kind zurückgesetzt, weil ihm die Möglichkeit genommen werde, ebenso lang wie ein eheliches Kind im Mittelpunkt elterlicher Sorge zu stehen. Diese unterschiedliche Behandlung sei nicht gerechtfertigt.

Sie rechtfertige sich auch nicht durch unterschiedliche soziale Situationen, in denen sich die Kinder befänden. Die tatsächlichen Lebensbedingungen von ehelichen Kindern geschiedener Eltern und nichtehelichen Kindern unterschieden sich prinzipiell nur unwesentlich. In beiden Fällen sei der betreuende Elternteil auf die Sicherstellung seines Unterhalts angewiesen, wenn er das Kind persönlich betreuen und deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen will.

Die ungleiche Dauer der Unterhaltsansprüche rechtfertige sich auch nicht dadurch, dass bei geschiedenen Ehegatten im Gegensatz zu nicht miteinander verheirateten Eltern die eheliche Solidarität nachwirke und Ansprüche begründen könne, die nichtverheirateten nicht zustünden.

Zwar sei es wegen des Schutzes, den die eheliche Verbindung durch Art. 6 Abs. 1 GG erfährt, nicht ausgeschlossen, einen geschiedenen Elternteil unterhaltsrechtlich besser zu stellen als einen unverheirateten Elternteil, was sich mittelbar auch auf die Lebenssituation der mit diesen Elterteilen zusammenlebenden Kinder auswirken könne. So habe etwa ein geschiedener Elternteil ungeachtet des Alters des von ihm betreuten Kindes einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil, wenn er keine angemessene Erwerbsarbeit finde. Räume der Gesetzgeber aber dem geschiedenen Ehegatten einen Unterhaltsanspruch allein wegen der persönlichen Betreuung des gemeinsamen Kindes ein, dann verbiete es ihm Art. 6 Abs. 5 GG, die Dauer der für notwendig erachteten persönlichen Betreuung beim ehelichen Kind anders zu bemessen als bei einem nichtehelichen Kind.

Das Bundesverfassungsgericht weist in seiner Entscheidung allerdings auch ausdrücklich darauf hin, dass § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB nicht das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht verletze. Das bedeutet, dass die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruches auf in der Regel drei Jahren im Lichte des Art. 6 Abs. 2 GG grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. Zum einen liege es in der Einschätzungskompetenz des Gesetzgebers, für wie lange er es aus Kindeswohlgesichtspunkten für erforderlich und dem unterhaltspflichtigen Elternteil zumutbar erachte, die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil durch Gewährung eines Unterhaltsanspruches an diesen zu ermöglichen. Zum anderen habe er jedem Kind ab dem dritten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz eingeräumt. Damit habe er sichergestellt, dass ein Kind in diesem Alter in der Regel eine außerhäusliche Betreuung erfahren kann. Es sei somit eine vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers, wenn er es deshalb nicht für notwendig erachte, den betreuenden Elternteil länger von seiner Erwerbsobliegenheit zu entbinden, sondern vielmehr unter Auswertung wissenschaftlicher Studien davon ausgegangen sei, eine Betreuung des Kindes im Kindergarten sei diesem nicht abträglich, sondern fördere wichtige Kompetenzen des Kindes.

Für die Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands stehen dem Gesetzgeber nunmehr mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. So kann er eine Gleichbehandlung der Regelungssachverhalte durch eine Änderung des § 1615 l BGB durch eine Änderung des Betreuungsunterhaltsanspruchs der Mutter des ehelichen Kindes (§ 1570 BGB) oder durch eine Neuregelung beider Sachverhalte vornehmen. Dabei hat er in jedem Fall einen gleichen Maßstab hinsichtlich der Dauer des Betreuungsunterhalts bei nichtehelichen und ehelichen Kindern zugrunde zu legen.

Die zum 01.07.2007 geplante Unterhaltsrechtsreform wurde angesichts des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zunächst auf Eis gelegt, da in dem Entwurf eine Änderung des § 1615 l BGB und damit eine Anpassung des Unterhaltsanspruches der Mutter des nichtehelichen Kindes nicht vorgesehen war. Es bleibt nunmehr abzuwarten, wann der Gesetzgeber einen korrigierten Entwurf vorlegt, der verabschiedet werden kann.

Bis zu einer Neuregelung ist der verfassungswidrige Zustand hinzunehmen. Von der Anordnung der Aussetzung der Verfahren, in denen nach § 1615 l BGB oder nach § 1570 BGB Betreuungsunterhalt geltend gemacht wird, hat das Bundesverfassungsgericht abgesehen, weil der Gesetzgeber in seiner Entscheidung, wie er die von Art. 6 Abs. 5 GG geforderte Angleichung vornehmen will, nicht beeinflusst werden soll. Auch würde nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eine Aussetzung aller Verfahren aufgrund der Geltendmachung von Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB und § 1615 l BGB zu einem vorübergehenden Stillstand der Rechtsgewährung, einem Entscheidungsstau bei den Familiengerichten und nach Inkrafttreten der Neuregelung zu einer verzögerten Bearbeitung der ausgesetzten Verfahren führen.

Angesichts dessen sei es angezeigt, die bestehenden Regelungen bis zum Inkrafttreten der Neuregelung weiter zur Anwendung kommen zu lassen. Der Nachteil, der Elternteilen und ihren nichtehelichen Kindern gegenüber ehelichen Kindern hieraus bis zur Neuregelung weiter erwachse sei hinnehmbar, da die Dauer des Unterhaltsanspruches wegen der Betreuung eines nichtehelichen Kindes für sich betrachtet dem Kindeswohl nicht zuwider laufe.

Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist somit zwar entschieden worden, dass die unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprüche für die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder verfassungswidrig ist. Dennoch können Elternteile, die ein nichteheliches Kind betreuen grundsätzlich erst mit Änderung des Gesetzes darauf hoffen, dass ihnen auch ein Unterhaltsanspruch über das dritte Lebensjahr des Kindes hinaus zusteht. Es kann somit nur gehofft werden, dass der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts möglichst kurzfristig umsetzt.

Münster, 25.06.2007

Dr. Rita Coenen, Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familien- und Sozialrecht