Familienrecht
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Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit sind die Bedingungen des heutigen Arbeitsmarktes mitentscheidend

Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 29.09.2006 (Az. 5 UF 171/06) ist auch bei gesteigerter Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Minderjährigen bei der Leistungsfähigkeit im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltsschuldner als ungelernte Arbeitskraft auf dem heutigen Arbeitsmarkt überhaupt eine realistische Chance auf eine Vollzeitbeschäftigung mit einem Verdienst, der über dem derzeitigen Selbstbehalt von 890,00 EUR liegt, hat.

Im zu entscheidenden Fall begehrt der Kläger Kindesunterhalt in Höhe von 199,00 EUR. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass eine fiktive Zurechnung von Arbeitseinkünften nicht zu einer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Beklagten führe. Als ungelernte Kraft auf dem Arbeitsmarkt könne er nur 900,00 EUR verdienen und sei nach Abzug von Werbungskosten nicht leistungsfähig. Auch das von dem Kläger eingeleitete Berufungsverfahren blieb erfolglos.

In seinen Entscheidungsgründen führt das Oberlandesgericht aus, dass unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes von 890,00 EUR monatlich der Unterhaltspflichtige ein Bruttoeinkommen in Höhe von ca. 1.650,00 EUR erzielen müsste, um einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 199,00 EUR zur Auszahlung bringen zu können. Dies bedeutet, dass der Kindesvater daher, als ungelernter Arbeiter, einen Stundenlohn von 10,00 EUR bei ca. 170,00 Arbeitsstunden im Monat erzielen müsste. Dies sei ihm aber bei den gegebenen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt nicht möglich.

Nach den Erkenntnissen aus vielen Unterhaltsverfahren hätten ungelernte Arbeitskräfte derzeit kaum eine Chance auf Festanstellung. Typischerweise würden sie befristet eingestellt. Im unteren Lohnbereich gelernter Arbeitskräfte werden Mindestlöhne durch Tarifvertrag und Rechtsverordnung garantiert, die im Bereich eines Stundenlohns von 10,00 EUR liegen. Ungelernte Arbeitskräfte müssen im Bereich des für die Unterhaltspflicht hier erforderlichen Stundenlohns mit gelernten Kräften konkurrieren. Bei der Erwerbsbiografie des Kindesvaters, der über keine Berufserfahrung verfügt, bestünde keine realistische Beschäftigungschance.

Nach diesem Urteil kann trotz gesteigerter Erwerbsobliegenheit im Einzelfall die Leistungsfähigkeit mit Blick auf die nachweislich angespannte Arbeitsmarktlage verneint werden. In diesem Fall kann die Zurechnung fiktiver Einkünfte ausscheiden mit der Folge, dass das unterhaltsberechtigte Kind auf Kosten der Allgemeinheit Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss.

Münster, 25.06.2007

Dr. Rita Coenen, Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familien- und Sozialrecht