Hochschulrecht / Studienplatzklage

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Studienplatzklage
Prüfungsrecht: Welche Prüfungsordnung ist maßgebend?

Nach zwei nicht bestandenen Klausuren erhielt die Jurastudentin den Bescheid: Zwischenprüfung endgültig nicht bestanden. Aus für die Juristenkarriere? Nein, vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen war sie jetzt gegen die juristische Fakultät Münster erfolgreich.

In dem von Rechtsanwalt Achelpöhler geführten Verfahren ging es um eine Rechtsfrage des Prüfungsverfahrensrechts: Welche Prüfungsordnung ist für die Entscheidung über den Verlust des Prüfungsanspruchs maßgebend? Die Prüfungsordnung zum Zeitpunkt der letzten Klausur oder die Prüfungsordnung zum Zeitpunkt des Erlasses des Prüfungsbescheides oder des Widerspruchsbescheides? Nachdem die Studentin die zweite Klausur geschrieben hatte änderte sich Prüfungsordnung. Nun gab es nicht nur zwei, sondern drei Versuche für die Klausuren. Diese Änderung der Prüfungsordnung trat just an dem Tag in Kraft, als die Studentin den Bescheid über die vermeintlich nicht bestandene Zwischenprüfung erhielt.

Die juristische Fakultät und das Verwaltungsgericht Münster waren der Ansicht, es komme auf den Zeitpunkt der letzten Prüfungsleistung an. Wer nach altem Recht den Prüfungsanspruch bereits verloren habe, könne von einer Änderung der Prüfungsordnung nicht profitieren.

Welche Prüfungsordnung gilt. Davon hing damit das Schicksal der Studentin ab. Was ist nun der „maßgebliche Zeitpunkt“ für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides? Das Prozessrecht gibt mit § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur die Auskunft, dass das Verwaltungsgericht einen Verwaltungsakt aufhebt, soweit er rechtswidrig ist. Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, richtet sich nicht nach § 113 VwGO sondern nach materiellem Recht. Materielles Recht, das sind hier die Regelungen der Prüfungsordnung.  Die Prüfungsordnung sah keine besonderen Übergangsvorschriften vor. Damit gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass Änderungen der Rechtslage bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen sind. Dieser Rechtsgrundsatz kommt etwa in § 96 VwVfG zum Ausdruck. Nur für abgeschlossene Verfahren bleibt es bei der Geltung der damaligen Rechtslage. Auch das Prüfungsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren. Es endet mit dem Erlass des Prüfungsbescheides, bzw. des Widerspruchsbescheides. 

Damit kam es auf die Rechtslage zum Abschluss des Prüfungsverfahrens an, hier also die Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Zu diesem Zeitpunkt galt die neue Prüfungsordnung, die der Studentin drei Prüfungsmöglichkeiten einräumt. Damit war der Bescheid über das endgültige Nichtbestehen rechtswidrig.

Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich: Zum einen ist sie ein Beleg dafür, wie sehr der Erfolg in Prüfungsrechtsverfahren von formalen Fragestellungen abhängig ist. In diesem Verfahren spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Klausuren der Studentin nun gut oder schlecht waren. Maßgebend für ihren Erfolg waren allein formale Fragen des Prüfungsrechts.

Darüber hinaus belegt das Verfahren, welch steiniger Weg manche Studierende in Prüfungsverfahren zurückzulegen haben, wenn sie um ihre Chance auf Fortsetzung des Studiums kämpfen. Immerhin datiert der Bescheid des Prüfungsamtes vom 29.09.2016, Recht vor dem Oberverwaltungsgericht bekam die Studentin mehr als drei Jahre später, durch das Urteil vom 10.12.2019. Immerhin ging es vor dem OVG sehr schnell.

Schließlich ist das Urteil auch für alle Jurastudenten lehrreich, denn es führt geradezu schulmäßig vor, wie die Frage der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zur Beurteilung eines Verwaltungsaktes zu entscheiden ist. Man sollte sich nicht wundern, wenn dieser Fall künftig für juristische Prüfungen verwendet wird: OVG NW Urteil vom 10.12.2019 Az.: 14 A 414/19

Münster, 23.12.2019

Wilhelm Achelpöhler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht