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Erbrecht nichtehelicher Kinder - Gesetzesänderung

Grundsätzlich sind im Erbrecht nichteheliche und eheliche Kinder vollkommen gleichgestellt. Bisher galt jedoch noch eine Ausnahme für diejenigen, die vor dem 01.07.1949 als nichteheliches Kind geboren wurden. Ihnen stand bis jetzt kein gesetzliches Erbrecht nach ihrem Vater zu, wenn dieser am 02.10.1990 in der damaligen Bundesrepublik gelebt hat. Das soll und muss sich nun durch das vom Bundestag am 24.02.2011 verabschiedete Gesetz ändern. Die Neuregelung soll rückwirkend für alle Erbfälle seit dem 29.05.2009 gelten. Es bedarf noch der Zustimmung des Bundesrates.

Zu dieser Änderung ist der nationale Gesetzgeber aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 28.05.2009 gezwungen. Denn dieser hatte geurteilt, dass die bisherige Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, die vor dem 01.07.1949 geboren wurden gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Das neue Gesetz soll rückwirkend vom 29.05.2009 an gelten. Denn ab diesem Zeitpunkt konnten die nach altem Recht berufenen Erben wegen des Urteils des EGMR vom 28.05.2009 nicht mehr auf ihre Rechtstellung als Erben vertrauen und mussten damit rechnen, dass auch nichteheliche Kinder rückwirkend zu Erben werden.

Nun sieht die vom Bundestag verabschiedete Neuregelung also vor, dass alle vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kinder rückwirkend zum 29.05.2009 gesetzliche Erben ihrer Väter werden können bzw. konnten.

Anhand eines Beispiels wäre die Situation wie folgt zu beschreiben: Eine heute 66-jährige wurde im Jahr 1945 als nichteheliche Tochter geboren. Wenn ihr Vater nach dem 29.05.2009 verstorben ist kann sie rückwirkend ggf. zusammen mit weiteren ehelichen Kindern Erbin geworden sein. Verstirbt ihr Vater zukünftig kann sie ebenfalls Erbin werden. Ist er bereits vor dem 29.05.2009 verstorben, scheidet ein rückwirkendes Erbrecht aus. Eine Ausnahme soll nur im Einzelfall bestehen, wenn der Vater bei seinem Tod keine Verwandten mehr hatte und niemanden zum Erben eingesetzt hat, so dass das Vermögen an den Staat ging. Dann soll der Staat dazu verpflichtet sein, den Wert des ererbten Vermögens zu ersetzen.

Sollte die gesetzliche Erbfolge durch letztwillige Verfügung abgeändert worden sein, kann den nichtehelichen Kindern selbstverständlich anstellte des Erbrechts auch ein Pflichtteilsrecht zustehen.

Nicht zu vergessen ist, dass auch Kindern von vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kindern, die bereits vor dem 29.05.2009 verstorben sind, Erbansprüche zustehen können.

Anhand eines Beispiels kann diese Konstellation wie folgt verdeutlicht werden:

Der Vater V hatte eine nichteheliche Tochter, die am 01.08.1946 geboren wurde. Anschließend heiratete er und bekam mit seiner Ehefrau einen Sohn. Der Vater verstirbt im Jahre 1971 und seine Ehefrau wird Alleinerbin. Diese verstirbt im Jahre 1981 und der gemeinsame Sohn wird Alleinerbe. Der Sohn ist nicht verheiratet und hat auch keine Kinder. Er stirbt schließlich am 15.06.2009 ohne Testament. Seine gesetzlichen Erben sind seine Eltern. Da diese nicht mehr leben, treten an ihre Stelle ihre Abkömmlinge und somit die am 01.08.1946 geborene nichteheliche Tochter seines Vaters. Die nichteheliche Tochter würde dann im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge zu Alleinerbin werden und von ihrem „Halbbruder“ erben. Sollte auch sie schon vorverstorben sein, erben Abkömmlinge und damit die „nichtehelichen Enkelkinder“, obwohl V schon seit Jahrzehnten verstorben ist. Der ausschlaggebende Erbfall muss jedoch nach dem 29.05.2009 eingetreten sein.

Dieser Umstand wird vom Deutschen Anwaltverein (DAV) in seiner „Ergänzenden Stellungnahme Nr. 11/11“ kritisiert. Er vertritt die Auffassung, dass spätestens mit Inkrafttreten des Erbrechtsgleichstellungsgesetzes am 01.04.1998 der Prozess, der zu ihrer rechtlichen Gleichstellung führen sollte, abgeschlossen war. Der DAV setzt sich daher im Rahmen seiner Stellungnahme dafür ein, dass eine rückwirkende Beteiligung der Betroffenen schon für Erbfälle ab dem 01.04.1998 erreicht wird. Er regte daher in seiner Stellungnahme an, den nichtehelichen Kindern für Erbfälle ab dem 01.04.1998 einen Anspruch einzuräumen, der ihrem Pflichtteilsanspruch entspricht.

Derzeit bedeutet die geplante Neuregelung jedenfalls, dass damit auch die bisher nicht berücksichtigten nichtehelichen Kinder erb- und pflichtteilsberechtigt sind. Diese (eventuell deren Nachkommen) sollten sich rechtlich beraten lassen.

Erbrechtliche Regelungen in Familien mit nichtehelichen Kindern, die vor dem 01.07.1949 geboren wurden, bedürfen jedenfalls der Überprüfung.

Münster, 24.03.2011

Mechtild Düsing, Rechtsanwältin
Notarin und Fachanwältin für Erbrecht