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Was kann der Betriebsrat? Was kann der Einzelne? Was kann eine Gewerkschaft?

Was ein Betriebsrat kann und was er nicht kann, was ihn von einer Gewerkschaft unterscheidet - das ist vielen Arbeitnehmern (manchmal auch langjährig Beschäftigten!) - nicht richtig klar.

Er soll „die Interessen der Arbeitnehmer“ vertreten. Das soll eine Gewerkschaft auch. Was aber heißt das konkret?

Was sind eigentlich die „Interessen der Arbeitnehmer“? Die Interessen sind vielfältig. Trotzdem gibt es gemeinsame Grundinteressen, die man verallgemeinern kann. Sie zeichnen sich für den jungen, lebens- und reiselustigen Menschen noch nicht so deutlich ab; umso klarer treten sie dann aber im Laufe der ersten Jahre des Berufslebens hervor: Man denkt über die Gründung einer Familie nach, man wünscht sich stabile Wohnverhältnisse (ein eigenes Haus?), ein geregeltes Einkommen und eine „gemäßigte“ Arbeitszeit, die zudem nicht chaotisch sondern so verteilt wird, dass das private Leben (Familie, Sport, Kultur, Freunde…) planbar bleibt.

Wichtige Grundlagen für den „Lebenstraum“ werden im Arbeitsleben gelegt: Dort wird das Geld verdient - oder aber auch nicht! Deswegen interessiert die Frage, wer darüber entscheidet und wie sichergestellt wird, dass die Interessen der Arbeitnehmer/innen nicht zu kurz kommen.

Damit ist die Machtfrage im Betrieb angesprochen: Wer entscheidet darüber, wie viel Geld es für wie viel Arbeitszeit (der Urlaub ist dazuzurechnen) gibt? Das moderne Leben ist kompliziert und wird komplizierter werden: Die hier angesprochene Machtfrage dagegen hat sich nicht grundsätzlich verändert und ist „überschaubar“ zu beantworten:

I.

1.

„Jeder ist seines Glückes Schmied“: Ständig macht man uns klar, dass wir freie Menschen sind und unser Schicksal selber in die Hand nehmen können. Diese Ideologie wird uns derart eingehämmert, dass teilweise vergessen wird, wie sehr uns unsere Herkunft und eine unterschiedliche soziale Situation auf dem Weg zum Glück prägen. Beschreiten wir nun mit folgendem Text diesen Weg und testen wir die Erfahrungen, die wir dabei machen:

Wir schauen uns den Arbeitsvertrag an und fragen uns, was daran stört: Zu wenig Geld und zu viel Arbeit. Wir entwerfen also eine Änderung des Vertrages, setzen das uns gerecht erscheinende höhere Gehalt ein, eine Reduzierung der Arbeitszeit und vielleicht noch einige Tage Urlaub mehr. Damit begeben wir uns zum Personalchef oder gleich zum Geschäftsführer mit der Bitte um Unterzeichnung. Was wird geschehen? Wird er unterschreiben? Ausgeschlossen ist das nicht: Bin ich der Daniel Düsentrieb des Betriebs und lebt das Unternehmen nicht zuletzt von meinen Ideen, so ist alles möglich. Man wird einiges tun, um mich zu halten.

Bin ich ein „normaler“ Arbeitnehmer, wird die Reaktion des Arbeitgebers ironisch, böse, in jedem Fall aber klar ablehnend sein.

Aber vielleicht gebe ich so einfach nicht auf. Geprägt von dem Gedanken, meines Glückes Schmied und ein souveränes Individuum zu sein, kündige ich meinem Gegenüber „Druck“ an, um die Vertragsverbesserung zu erreichen.

„Wenn Sie mir dieses Papier nicht unterzeichnen, stelle ich die Arbeit - zumindest vorläufig - ein und behalte mir sogar vor, zu kündigen!“

Die Antwort wird sich irgendwo zwischen Tobsuchtsanfall und Lachanfall abspielen - vielleicht so:

„Wenn Sie nicht arbeiten, gibt es kein Geld und eine fristlose Kündigung. Wenn Sie aber selber kündigen, so wäre das das Schönste, was ich von Ihnen in den letzten 5 Jahren gehört hätte!“

Sollte die Eigenkündigung dann tatsächlich ausgesprochen werden, rollt der begeisterte Personalchef noch persönlich den roten Teppich aus, über den man dann aus dem Betrieb schreitet, um festzustellen, dass das mit dem „Druck“ bzw. dem „souveränen Individuum“ nicht so ganz geklappt hat.

2.

Der Arbeitnehmer, der diesen vergeblichen Weg kennengelernt hat oder ihn schon voraussieht, wird in weiser Voraussicht vorsichtiger vorgehen und sich erst einmal an seinen Betriebsrat wenden.

„Dieser soll meine Interessen vertreten - warum haben wir ihn denn überhaupt gewählt? Also: Betriebsrat, sorg bitte dafür, dass es mehr Geld und eine Verkürzung der Arbeitszeit gibt!“

Vielleicht findet man ja noch eine größere Anzahl von Kollegen, die diesen Wunsch ebenfalls haben. Mit denen bespricht man, den Betriebsrat auf der nächsten Betriebsversammlung zu beauftragen, entsprechend aktiv zu werden.

Nachdem man die Schwächen der ersten Säule des deutschen Arbeitsrechts (nämlich des Arbeitsvertrags) sehr drastisch erfahren hat, wird man nunmehr die zweite Pleite erleben und schnell feststellen, dass man falsche Vorstellungen von den gesetzlichen Möglichkeiten des Betriebsrats hat. Dieser handelt nämlich unter den Bedingungen des Betriebsverfassungsgesetzes. Danach kann er die Aufgabe der Interessenvertretung nur insoweit wahrnehmen, als sich dies aus einem der 123 Paragraphen ausdrücklich ergibt. So wird ein Betriebsrat, der beim Arbeitgeber zur Durchsetzung konkreter Interessen vorstellig wird, oft mit der Frage konfrontiert:

„Wo steht das, dass ich mit Ihnen darüber überhaupt verhandeln muss?“

Der Betriebsrat - auf dem Wege zur Gehaltserhöhung - wird im Gesetz suchen und mit Ernüchterung feststellen, dass ihm dort (an sehr versteckter Stelle!) ausdrücklich mitgeteilt wird, was er nicht (!) darf: § 77 Abs. 3 stellt klar, dass er für Arbeitsentgelte nicht zuständig ist, wenn diese in Tarifverträgen geregelt sind oder wenn Tarifverträge „üblich“ sind (wofür schon sehr wenige Tarifverträge in der Branche als ausreichend angesehen werden). Genauso wenig ist er für eine Reduzierung der Arbeitszeit zuständig.
Dass dies so ist konnte der aufmerksame Beobachter z. B. der Berichterstattung über Streiks bei der Deutschen Bahn, der Piloten und den Kindertagesstätten usw. entnehmen: Nie hat man bei diesen zum Teil „spektakulären“ Arbeitskämpfen etwas von den Betriebsräten bzw. Personalräten gehört.

Vielleicht wird sich der Betriebsrat mit der „gesetzlich angeordneten Machtlosigkeit“ nicht so leicht zufrieden geben und - mit hunderten Arbeitnehmern im Rücken - dem Arbeitgeber „Druck“ ankündigen:

„Das Leben darf doch nicht von Paragraphen bestimmt werden!“

Oder wird es genau das? Wo es langgeht, wird dem Betriebsrat durch drei weiteren Paragraphen des Betriebsverfassungsgesetzes schnell klargemacht: § 74 Abs. 2 verbietet dem Betriebsrat, zum Arbeitskampf, d.h. zum Streik aufzurufen. § 23 sieht vor, dass der seine Pflichten verletzender Betriebsrat des Amtes enthoben werden kann. Nach § 103 ist unter bestimmten Voraussetzungen sogar die fristlose Kündigung eines Betriebsrats möglich.

Damit hätte sich das Thema „Beauftragung des Betriebsrats auf der nächsten Betriebsversammlung wegen Lohnerhöhung und Arbeitszeitreduzierung“ erledigt. Dies einmal ganz abgesehen davon, dass das Betriebsverfassungsgesetz nicht einmal ein sogenanntes imperatives Mandat kennt: Die Belegschaft kann den Betriebsrat gar nicht verbindlich beauftragen, sondern ihn allenfalls zu einem Handeln auffordern, d.h. ihn nur bitten.

Ist der Betriebsrat damit machtlos und überflüssig?

Sicherlich nicht: Er hat insbesondere nach § 87 (soziale Mitbestimmung) und nach § 99 ff. (Mitbestimmung in personalen Angelegenheiten) zahlreiche Mitbestimmungsaufgaben. Ein wichtiges Beispiel dabei ist die Verteilung der Arbeitszeit (nicht aber deren Gesamtumfang! - wie oben ausgeführt). Ob zu festen Arbeitszeiten, an bestimmten Tagen oder flexibel über die ganze Woche verteilt gearbeitet wird, das alles müssen Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam entscheiden. Aber es bleibt dabei: Wieviel Geld es für wieviel Arbeit gibt, das unterliegt nicht der Mitbestimmung durch den Betriebsrat.

Das wäre die zweite Ernüchterung:

3.

Diese allerdings weist bereits auf die eigentliche, dritte und (endlich!) starke Säule des Arbeitsrechts hin, nämlich auf den Tarifvertrag. Er wird in den §§ 77 und 74 Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich erwähnt.

Sowohl im Grundgesetz als auch im Betriebsverfassungsgesetz hat der deutsche Gesetzgeber, d.h. die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag, sehr klar zum Ausdruck gebracht, wie er sich den Weg zu gerechten Verhältnissen in der Arbeitswelt (genügend Geld für nicht zu viel Arbeit) vorstellt: Arbeitnehmer können sich zu Kollektiven (auch Koalitionen oder üblicherweise: Gewerkschaften genannt) zusammenschließen. Diese Gewerkschaften können und sollen mit den Arbeitgebern Kollektivverträge abschließen d.h. Tarifverträge.
Den Tarifvertrag muss der Arbeitgeber natürlich nicht automatisch unterschreiben: Wenn man aber in Verhandlungen nicht weiter kommt, hat die Gewerkschaft das Grundrecht (!) auf Arbeitskampf.

Und wo ist es aktuell besonders deutlich geworden? Genau, im Streik der Lokomotivführer, der Piloten und der Erzieher/innen! Wieso streiken die eigentlich und wieso hörte man nichts von Betriebs- und Personalräten!? Hätte die das nicht regeln können?! Die Antwort dürfte jetzt klar sein.

Was der Einzelne nicht kann und was der Betriebsrat nicht darf, das ist Aufgabe der Gewerkschaften: Sie können für gerechte Löhne, Gehälter und Arbeitsbedingungen Druck entfalten und dürfen zum Arbeitskampf aufrufen. Allein schon die Möglichkeit des Arbeitskampfes gibt den vorangegangenen Verhandlungen der Gewerkschaften ein ganz anderes Gewicht als den Bitten (dem Betteln) von einzelnen Arbeitnehmern und deren Betriebsräte.

Wem der Weg, mit anderen Betroffenen eine Gewerkschaft zu gründen, zu mühsam erscheint, der muss sich den bereits bestehenden Gewerkschaften anschließen. Nur durch eine ausreichend große Mitgliederzahl ist eine Gewerkschaft in der Lage, ihrer Aufgabe nachzukommen, gerechte Arbeitsverhältnisse ggf. auch durch Arbeitskampf sicherzustellen:

Wenn Arbeitnehmer zum Gewerkschaftsbeitritt allerdings nicht bereit sind - aus welchen Gründen auch immer (manche wollen einfach den Mitgliedsbeitrag „sparen“) - sieht der Gesetzgeber keine Veranlassung, von sich aus einzugreifen, um etwa durch Gesetze bessere Verhältnisse in der Arbeitswelt herzustellen. Das macht er erst dann, wenn die Gehälter so katastrophal geworden sind, dass eine Mindestlohngrenze gezogen werden muss.

Der Gesetzgeber zwingt also niemanden, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Aber die Konsequenzen sollten klar sein: Wer meint, er brauche keine Gewerkschaft, da er seine Angelegenheit „selber“ oder aber über den Betriebsrat regeln könne, der wird - wie beschrieben - bald merken, dass er auf diese Weise nicht weit kommen dürfte.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden immer komplizierter. Die Machtverhältnisse in den Betrieben sind dagegen „überschaubar“.

II.

Macht man es sich mit dieser „Drei-Säulen-Betrachtung“ (Arbeitsvertrag-Betriebsrat-Tarifvertrag) nicht etwas zu einfach?

Es gibt natürlich noch andere, schwierige Probleme auf dem Wege zu einer gerechteren Bezahlung und eine angemessene Arbeitszeit:

1.

So werden z.B. immer „intelligentere“ Formen gesucht und entwickelt, den „Arbeitnehmer als solchen“ abzuschaffen. Wie das?
Arbeitsvertrag, Betriebsrat und Betriebsvereinbarung sowie Tarifvertrag beziehen sich immer auf Arbeitnehmer, und nicht auf Selbstständige. Die Versuchung ist daher groß, Rechtsverhältnisse (Verträge) so zu gestalten bzw. zu „konstruieren“, dass man einen Menschen nicht als Arbeitnehmer einstellt (mit den o. g. Möglichkeiten sich zu wehren) sondern ihm einen Arbeitsauftrag erteilt, den er als freier Mitarbeiter, als Unternehmer (im Rahmen eines sog. Werkvertrags) oder unter welcher Bezeichnung auch immer ausführen soll.

Hier liegen ernste Probleme, da die Arbeitgeber, ihre wirtschaftlichen und rechtlichen Berater immer findiger werden, die Arbeit anders zu organisieren und Arbeitnehmer durch Selbstständige zu „ersetzen“. Oft ist dies nur eine billige Trickserei - aber mit erheblichen Folgen: Der sogenannte Scheinselbstständige, der in Wirklichkeit ein Arbeitnehmer ist und den gesamten Schutz des deutschen Arbeitsrechts verdienen müsste, wird beschäftigt ohne Kranken-, ohne Arbeitslosenversicherung und ohne Rentenversicherung - als angeblich Selbstständiger. Er kann sich dann selber darum kümmern, wie er aus dieser rechtlichen und oft auch sozialen Notlage wieder herauskommt. Aber auch in dieser Lage kann ihn eher eine Gewerkschaft unterstützen als dass er sich selber (z.B. durch Gerichtsverfahren) helfen kann.

Dieses Problem, nämlich die „gelungene“ oder oft nur „getrickste“ Aufweichung der Arbeitswelt durch Selbstständige, wird ein Hauptproblem bleiben. Aber auch zur Lösung solcher Fragen ist nicht der Einzelne in der Lage: Auch dafür bedarf es starker Gewerkschaften, die in der Gesellschaft wirken und auf die Politik Einfluss nehmen können.

2.

In gleicher Weise gilt dies für weitere Probleme. Z.B. die Aufspaltung einer Belegschaft: „Mach‘ doch aus einem Betrieb mit 1000 Beschäftigen 5 Betriebe mit je 200“.
Damit zerschlägt man eine Gemeinschaft. Dann setzt man noch eins drauf und verlagert zwei der Betriebe nach Osten oder woanders hin – wo jedenfalls die Arbeit (noch) billiger ist.

III.

Zusammenfassung (in aller Kürze):

Man kommt auf den alten, platten, aktuellen und sehr treffenden Satz zurück:
Nur gemeinsam ist man stark. Vielleicht nicht immer stark genug - zumindest aber stärker als allein.

Münster, 18.09.2015

Dietrich Manstetten, Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht