Arbeitsrecht
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Arbeitsrecht
Anmerkung zu einer bemerkenswerten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes oder: Auch die Rechtsprechung ist flexibel

I.

Im Jahre 1984 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine arbeitsvertragliche Vereinbarung als objektive Umgehung von zwingenden Vorschriften des Kündigungsschutzrechtes unwirksam sei, die bei arbeitszeitabhängiger Vergütung den Arbeitgeber berechtigt, die zunächst festgelegte Arbeitszeit später einseitig nach Bedarf zu reduzieren (BAG vom 12.12.1984, 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321).

Im Jahre 2005 entschied das Bundesarbeitsgericht anders (BAG vom 07.12.2005, 5 AZR 555/04, NZA 2006, 423): Der Arbeitgeber habe ein „berechtigtes Interesse an einer gewissen Flexibilität der Arbeitsbedingungen“. Das Kündigungsrecht sei hierzu nicht geeignet: Damit könne man nicht auf kurzfristige Veränderungen reagieren, da das Kündigungsrecht einen dauerhaften Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten voraussetze. Hinzu kämen häufig lange Kündigungsfristen, die einer kurzfristigen Änderung der Arbeitszeit entgegenstünden. Anderseits habe zwar auch der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an einer fest vereinbarten Dauer der Arbeitszeit. Bei festen Arbeitszeiten könne der Arbeitnehmer seine Freizeit planen und prüfen, ob er gegebenenfalls ein weiteres Teilzeitarbeitsverhältnis eingehen kann, könne und möchte. Die gegenseitigen Interessen müssten „angemessen zum Ausgleich“ gebracht werden. „Diesen Ausgleich“ nimmt das Bundesarbeitsgericht sodann wie folgt vor: Bei einer Vereinbarung von Arbeit auf Abruf dürfe die einseitig vom Arbeitgeber abrufbare Arbeit des Arbeitnehmers nicht mehr als 25% der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit betragen. Bei einer Sockelarbeitszeit von 30 Wochenstunden z.B. könne der Arbeitgeber bei entsprechender Vereinbarung die regelmäßige Arbeitszeit in der Woche auf bis zu 37,5 Std. heraufsetzen. Ist eine Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden vereinbart, beträgt die zusätzliche abrufbare Arbeitsleistung 3,75 Std. Wolle der Arbeitgeber ein relativ großes Maß an Flexibilität, dürfe er mit dem Arbeitnehmer folglich keine all zu niedrige Mindestarbeitszeit vereinbaren.

Wird eine Vereinbarung über die Verringerung der vereinbarten Arbeitszeit getroffen, so beträgt folgerichtig das „flexible Volumen“ 20% der Arbeitszeit.

Hier tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf; die Auswirkungen auf betriebliche Praxis und private Lebensführung bleiben abzuwarten. Möglicherweise schreckt mancher Arbeitgeber davor zurück, seine Belegschaft mit einer derartigen Vertragsgestaltung zu konfrontiern.

 

II.

Jedoch macht das Urteil nachdenklich und führt zu „kreativen Überlegungen“, die vielleicht auch die Verfasser der Entscheidung bereits bedacht haben. Vermutlich haben sie ihren Beitrag, das heißt den Beitrag der Arbeitsgerichtsbarkeit zur Weltmarktfähigkeit der deutschen Wirtschaft, leisten wollen. Flexibilität ist immer noch das Zauberwort und geht auch an der Rechtsprechung nicht spurlos vorüber.

Von der „atmenden Fabrik“ redet man im Zusammenhang mit Arbeitszeit. Bislang bezog sich dies allerdings nur auf eine flexible Verteilung der Arbeitszeit. Nunmehr kann die Fabrik noch tiefer atmen, da auch das Volumen der Arbeitszeit variabel sein soll.

Warum aber soll man bei der Fabrik stehen bleiben. Warum erkennt man nicht endlich auch die Möglichkeiten des „atmenden Gerichts“? Auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit gibt es mal mehr und mal weniger Eingänge. Warum soll dem nicht „atmend“ begegnet werden und warum soll nicht – je nach Bedarf - die Arbeitszeit der Richter um 25% herauf- bzw. um 20% herabgesetzt werden.

Wir glauben nicht, dass beamtenrechtliche Einwände entgegen stehen. Wenn aber doch, so käme eine entsprechende freiwillige Regelung mit der Richterschaft in Betracht: Über die Einspareffekte hinaus, würde die gezeigte soziale Sensibilität der Richter ganz allgemein die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen erhöhen:

Vielleicht könnten die Richter sogar mit gutem Beispiel vorangehen und den Prozentsatz noch erhöhen? Immerhin beziehen Richter ein höheres Gehalt, als die im Schichtdienst arbeitende gewerbliche Arbeitnehmerin in der oben genannten Entscheidung. Richter haben flexible Arbeitszeiten und können bei einer Reduzierung ihrer Arbeitszeit erst recht den vielfältigen Nebentätigkeiten nachgehen, denen sich viele ohnehin schon – z. B. im Fortbildungssektor – widmen. In die Erörterung des für Bundesarbeitsrichter angemessen Prozentsatzes könnte man zwanglos die Kollegen vom Bundessozialgericht einbeziehen, die sich bei der Feststellung, dass 345,00 € im Monat für den Hartz-IV-Empfänger ausreichend seien, intensiv mit der Frage auseinander gesetzt haben, was der Mensch zum Leben braucht.

Münster, 06.02.2008

Dietrich Manstetten, Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht