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Was ist nach dem „Ende des Tarifvertrags“ zu tun?

(Handlungsanleitung für den Betriebsrat)

Dieser Beitrag mag manchem Leser etwas mühsam erscheinen. Er hat aber eine hohe Bedeutung in den Betrieben mit Betriebsräten, in denen die Tarifbindung wegfällt.

Welche Möglichkeiten hat der Betriebsrat nach Beendigung der Tarifbindung (Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband oder Verbleiben bei Wechsel in die sog. OT - ohne Tarifbindung – Mitgliedschaft)? OT heißt: Mitgliedschaft im Verband ohne Tarifbindung, aber weiterhin Vertretung durch den Verband beispielsweise vor Gerichten; diese Art von OT-Mitgliedschaft ist von den Gerichten anerkannt.

Im Zusammenhang mit Betriebs- (Teil-)Übergängen, aber auch durch Austritt aus Arbeitgeberverbänden und Übertritte von einer Voll- in eine sog. OT-Mitgliedschaft sind in großer Zahl Tarifbindungen entfallen.

Dadurch wird das Schutzsystem des Tarifvertrags als Garant für Mindestentgeltbedingungen und seine Rolle als weithin akzeptiertes, von besonderer praxisnaher Sachkunde getragenes Gestaltungsmittel bei der Schaffung eines gerechten Vergütungssystems wesentlich in Frage gestellt.

I.

Das wiederum führt zur Frage, welche Rolle der Betriebsrat in Zukunft „anstelle der Tarifvertragspartei Gewerkschaft“ zu spielen haben wird.

Ersetzen kann er die Gewerkschaft nicht: Nach § 77 Abs. 3 besteht eine entsprechende Sperre. Diese ist auch grundsätzlich sinnvoll: Da dem Betriebsrat der Arbeitskampf verboten ist, würden vom Betriebsrat mitgeschaffene „Tarifregeln“ nicht als „gerechte Vergütungsregeln“ in Betracht kommen: Verhandeln ohne Kampfmöglichkeit ist „kollektives Betteln“ (so das Bundesarbeitsgericht).

Dies darf allerdings nicht zur Untätigkeit und Resignation führen: Dem Betriebsrat bleiben die Möglichkeiten der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Ziffer 10: Danach hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht insbesondere bei der „Lohngestaltung“.

Die Möglichkeiten dieses Mitbestimmungsrechts und die darin liegende „Brisanz“ sind vielen Betriebsräten – und auch Arbeitgebern – nicht ausreichend bekannt.

Die Lohngestaltung soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht die Lohnhöhe beinhalten – dies ist Angelegenheiten der Gewerkschaften – sondern lediglich die Lohngerechtigkeit.

Was heißt das konkret?

Für den Fall, dass ein Tarifvertrag nicht mehr besteht, bedeutet dies: Der Betriebsrat hat nicht mitzubestimmen darüber, wie hoch die betriebliche Lohnsumme ist. Dies wäre nach wie vor allein Aufgabe der Gewerkschaften. Sind diese nicht mehr in der Lage, diese Aufgabe wahr zu nehmen, so wird die Lohnhöhe letztlich durch die Summe der ausgehandelten einzelvertraglichen Löhne/Gehälter bestimmt.

Der Arbeitgeber glaubt nun, bei diesen Verhandlungen sei er jetzt „frei“. Dies ist aber – zumindest teilweise – ein Irrtum, der im Folgenden näher erläutert wird:

II.

Der Betriebsrat hat nämlich ein Mitbestimmungsrecht beim Lohnsystem (dieses ist die „Lohngestaltung“ gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG).

Dies setzt zunächst voraus, dass der Arbeitgeber überhaupt ein solches Lohnsystem hat. Je größer der Betrieb ist, je selbstverständlicher ist die Existenz eines solchen Systems: Der Arbeitgeber wird nicht in jedem Einzelfall die Löhne frei aushandeln.

Redet der Arbeitgeber von einem „Freien Aushandeln“, so bedeutet dies meistens, dass er regelmäßig zwar ein grundsätzliches System hat, von dem er dann aber im Einzelfall - je nach Verlauf des Einstellungsgesprächs und „Marktwert“ des Bewerbers - durch eine entsprechende Einzelvereinbarung abweicht. Eine professionelle Betriebsführung ist ohne ein solches der Lohnvereinbarung zugrunde liegendes grundsätzliches System schwer vorstellbar. Zumindest gilt dies für Betriebe ab einer gewissen Größenordnung.

Dieses System ist die „Lohngestaltung“, die gemäß § 87 Abs. 1 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig und damit auch einigungsstellenfähig ist.

1.

Was bedeutet nun „System“ bzw. „Lohngestaltung“ konkret?

Einfach ausgedrückt geht es um die Abstände zwischen Gehältern, die für unterschiedliche, definierte Tätigkeiten gezahlt werden sollen:

Beispiele:

  • Der Fahrer und die Empfangskraft bekommen den Betrag X. - Gruppe 1 -
  • Der Sachbearbeiter bekommt den Betrag X + 20 %. - Gruppe 2 -
  • Der Sachbearbeiter Ausland bekommt den Betrag X + 40 %. - Gruppe 3 -
  • Der Teamleiter bekommt den Betrag X + 100 %. - Gruppe 4 -
  • Der Abteilungsleiter bekommt den Betrag X + 200 %. - Gruppe 5 -
  • Der Bereichsleiter bekommt den Betrag X + 300 %. - Gruppe 6 -

In diesem System sind sechs Tätigkeitsgruppen (definierte Tätigkeiten) zugrunde gelegt und damit Gehaltsstufen, die sich durch den angegebenen Prozentsatz (Abstand) unterscheiden. Dies ist der Kern des Lohnsystems.

Üblicherweise werden die durch die unterschiedliche Tätigkeiten bestimmten Gehaltsstufen (Schritt 1) – sollen es fünf, sechs, sieben noch mehr oder vielleicht nur zwei sein? – durch einen Tarifvertrag festgelegt. Ebenso legen Tarifverträge sodann die Abstände (Schritt 2) zwischen den Gruppen fest.

Schließlich legen Tarifverträge auch den Betrag X (Schritt 3) fest: Mit diesen drei Schritten sind grundsätzlich die Lohnhöhe und die Aufteilung des Lohnes (durch Gruppen und Abstände zwischen den Gruppen) auf die Beschäftigten bestimmt.

Die Rolle des Betriebsrats beschränkt sich bei Existenz solcher Tarifverträge nach § 99 BetrVG allein auf die Prüfung, ob der Tarifvertrag im Einzelfall auch richtig angewendet wird (vgl. § 99 Abs. II Nr. 1 BetrVG), d. h. ob ein Arbeitnehmer richtig eingruppiert ist.

2.

In Betrieben ohne Tarifvertrag ist der Betriebsrat gem. § 87 I Nr. 10 BetrVG für die Schritte 1 und 2 zuständig: Er legt mit dem Arbeitgeber (ggf. Einigungsstelle) das System (d. h. die „Gestalt“ des Lohns) fest.

Den Wert „X“ allerdings kann er nicht mitbestimmen: Dies – d.h. den Schritt 3 – verbietet ihm § 77 Abs. 3, der auf kollektiver Ebene diese Aufgabe allein den Tarifpartnern zuweist. Nehmen diese die Aufgaben nicht mehr wahr, - warum auch immer -, wird die Größe „X“ letztlich durch den Arbeitgeber festgelegt.

Hier aber beginnt der oft anzutreffende „Irrtum“:

Der Arbeitgeber, der meint, dass er nunmehr „frei“ sei und nur noch mit den einzelnen Arbeitnehmern „verhandeln“ müsse, irrt: Er ist keineswegs uneingeschränkt „frei“ darin, beliebige „Einzelfallentscheidungen“ zu treffen, d. h. beliebig voneinander abweichende Individualverträge abzuschließen. Er muss vielmehr die Schritte 1 und 2 mit dem Betriebsrat absprechen und:

Nur zusammen mit dem Betriebsrat kann er von dem bisherigen (bislang im Tarifvertrag geregelten) System abweichen. Dieses System muss er solange weiter praktizieren, bis er mit dem Betriebsrat ein neues eingeführt hat. Solange dies nicht geschehen ist, „gilt“ das alte System (Schritt 1 und 2) weiter.

Genau hier liegt – für den Arbeitgeber! – die Schwachstelle; die oft auch von Betriebsräten übersehen wird.

Tritt der Arbeitgeber aus dem Verband aus oder begibt er sich in die sog. OT-Mitgliedschaft, so erreicht er damit zwar mehr Freiheit bei der Bestimmung der Größe „X“.

Dies kann er „leicht“ – d. h. ohne Betriebsrat - nur dadurch umsetzen, dass er bei allen Neueinstellungen („Altbeschäftigte“ behalten ihren zuletzt gezahlten Tariflohn!) nach Ende der Tarifbindung das gesamte System für die Neueinzustellenden um einen von ihm für richtig gehaltenen Prozentsatz – beispielsweise 10 % - „herunter fährt“: Schritt 1 und Schritt 2 bleiben dann unverändert, so dass der Arbeitgeber das System nicht berührt hätte: Verändert hätte sich nur die Lohnhöhe, nicht aber das ihr zugrunde liegende System.

Nach Wegfall des Tarifvertrages fällt also nicht automatisch das praktizierte System weg. Das System – d. h. die Schritte 1 und 2 - gilt weiter – bis sich die Betriebspartner auf ein Neues geeinigt haben. Solange ist es – in aller Konsequenz – weiter zu praktizieren – d.h. dass weiter Eingruppierungsanträge nach § 99 an den Betriebsrat geschickt werden müssen (s. dazu auch unter Ziff. IV die Rechtssprechung des BAG). In einer aktuellen BAG-Entscheidung (- 1 ABR 66/08 – vom 08.12.2009, NZA 2010, 404 ff.) heißt es:

„Gilt in einem Betrieb eine Vergütungsordnung, ist der Arbeitgeber betriebsverfassungsrechtlich zu ihrer Anwendung verpflichtet. Entfällt der bisherige Geltungsgrund für die Anwendung der Vergütungsordnung, sind die in ihr enthaltenen Entlohnungsgrundsätze selbst nach dem Wegfall des ursprünglichen Geltungsgrundes der Vergütungsordnung zu beachten und können vom Arbeitgeber nicht einseitig verändert werden. Vielmehr bedarf er hierfür nach § 87 I Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats.“

Mit anderen Worten: Fällt die Tarifbindung am 31.12. eines Jahres weg, so muss der Arbeitgeber, der am 02.01. einen Auslandssachbearbeiter einstellen möchte, die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung in die Gruppe – wie bisher - beantragen.

Will er das nicht mehr, so muss er beim Betriebsrat beantragen, von diesem System abweichen zu dürfen – sei es durch ein neues System oder (kaum praktisch vorstellbar) durch Verzicht auf jegliches System. Egal wie: Er braucht den Betriebsrat – und gegebenenfalls nach dessen Ablehnung die Einigungsstelle.

Bis er die Zustimmung des Betriebsrats oder den Beschluss der Einigungsstelle hat – zumindest bis dahin muss er das alte System – also die tarifliche Eingruppierung – weiter praktizieren, d. h. dass er Eingruppierungsanträge an den Betriebsrat richten muss.

III.

Diese Zusammenhänge wird ein Arbeitgeber oft nicht beachten:

1.

Er wird regelmäßig nicht „gleichmäßig“ herunter fahren, sondern nur da, wo er es für angebracht hält. Es mag also sein, dass er in den unteren Gruppen um 10 % kürzt, in den mittleren und/oder oberen Gruppen aber nicht kürzt oder sogar noch „zulegt“ oder dass er dies nur in Einzelfällen versucht.

Genau dies kann er aber nur mit Zustimmung des Betriebsrats: Geht er nämlich so vor, so greift er in das System ein. Mit anderen Worten: Er legt nicht nur X fest (mitbestimmungsfrei), sondern verändert darüber hinaus das System auf der Ebene der Schritte 1 und 2. Dazu braucht er aber nach § 87 Abs. 1 Ziffer 10 die Zustimmung des Betriebsrats.

Es mag also so sein, dass er eine Sachbearbeiterin Ausland einstellen kann, die auch für 200,00 € weniger als x + 40 % arbeiten würde: Er muss sie dennoch in die Gruppe 3 einstufen und einen entsprechenden Antrag nach § 99 BetrVG an den Betriebsrat richten und ihr ein Gehalt nach Gruppe 3 (d. h. x + 40 %) zahlen!

2.

Das Gleiche gilt, wenn er nunmehr nicht mehr von den bisher praktizierten Vergütungsgruppen (Fahrer bis Bereichsleiter) ausgeht, sondern wenn er mehr oder - weniger – oder sogar neue Tätigkeitsgruppen schaffen möchte. Auch dann würde er von dem bisher praktizierten „System“ (immer noch bestehend aus den Schritten 1 und 2!) abweichen: Auch dazu bedürfte er der Zustimmung des Betriebsrats.

3.

Das Gleiche gilt aber auch, wenn er das bisherige System ersatzlos streichen („keine Gruppen mehr“) und kein neues System einführen will, also nur noch Einzelfallentscheidungen treffen möchte: Mit jedem Neuen werde „individuell“ verhandelt: Abstrakte Gruppen mit Tätigkeitsmerkmalen wolle man nicht mehr.

Die Abschaffung des bisher praktizierten Systems ist nämlich eine „kollektive“ Entscheidung und bedarf ebenfalls der Zustimmung des Betriebsrats.

Das wird mancher Arbeitgeber schlicht nicht verstehen (wollen): „Warum bin ich denn eigentlich aus dem Verband ausgetreten?“

Es gibt einen Sonderfall: in dem der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats nicht einholen muss:

Dabei handelt es sich um die individuelle „Arbeitsmarktzulage“: Ein Arbeitnehmer kann sich gut verkaufen und erklärt seine Eintrittsbereitschaft nur gegen ein entsprechend höheres Gehalt (das Gleiche kann dem Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis passieren: Ein Arbeitnehmer, an dem er unbedingt festhalten möchte, ist nur zum Bleiben zu veranlassen, indem man ihm eine entsprechende Gehaltserhöhung gibt). Solche – individuellen – „Arbeitsmarktzulagen“ unterliegen nicht der Mitbestimmung.

Der „kluge“ Arbeitgeber wird mit dieser Möglichkeit in Einzelfällen die Mitbestimmung des Betriebsrats „unterlaufen“ bzw. erschweren können. Dies gilt aber nur in wirklichen Einzelfällen. Handelt es sich um eine „kollektive“ Arbeitsmarktzulage (man muss für bestimmte Berufsgruppen mehr zahlen), so bleibt es bei der Mitbestimmung. Die Abgrenzung zwischen kollektiver und individueller „Arbeitsmarktzulage“ mag im Einzelfall schwierig sein.

IV.

Das Bundesarbeitsgericht (11.06.2002, NZA 2003, 570; 02.03.2004 NZA 2004, 852; 15.04.2008, NZA 2008, 888; 22.06.2010, Der Betriebsrat 2011, 39) entwickelt aus der Nichtbeteiligung des Betriebsrats sogar individuelle Zahlungsansprüche von Arbeitnehmern (unter bestimmten Voraussetzungen). Dazu im Einzelnen:

1. Beispielsfall

Endet beispielsweise am 31.12. eines Jahres die Tarifbindung, so glaubt mancher Arbeitgeber – und ihm folgend auch mancher Betriebsrat – dass er ab dem 1. Januar des Folgejahres bei Neueinstellungen „frei“ sei. Dies ist Mitnichten der Fall: Das bis zum 31.12. bestehende Tarifsystem ist das „System“, das der Arbeitgeber bislang kollektiv praktiziert hat. Wenn er dies in Zukunft nicht mehr möchte – sei es, dass er mehr (oder weniger) Tätigkeitsgruppen einführen möchte, sei es, dass er den Abstand zwischen den Gruppen verändern möchte – bedarf er der Zustimmung des Betriebsrats. (Lediglich eine gleichmäßige, proportionale Veränderung der Gehaltshöhe – bei ansonsten vollständiger Beibehaltung des Systems - unterliegt nicht der Mitbestimmung).

Wenn der Arbeitgeber in dieser Weise das System „abbaut“ und ein Betriebsrat sich um die Angelegenheit nicht kümmert, gelingt es manchem Arbeitgeber „problemlos“, ab sofort die betriebliche Lohnsumme zu senken. Manchem Betriebsrat ist es die Hauptsache, dass den „Altarbeitnehmern“ nichts genommen wird. Für die „neuen“ lässt man die Angelegenheit „laufen“.

a. Hier wäre allerdings die unmittelbare Eingriffsmöglichkeit für den Betriebsrat gegeben: Wenn der Arbeitgeber in der beschriebenen Weise von dem bisher praktizierten System (d. h. von den Schritten 1 und 2) abweichen will, kann der Betriebsrat Unterlassung verlangen und ggf. den Arbeitgeber entsprechend in einem Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht verpflichten lassen.

b. Stattdessen oder parallel kann der Betriebsrat auch den Arbeitgeber auffordern, ihm hinsichtlich neu eingestellter Arbeitnehmer (bzw. auch zu versetzende Arbeitnehmer!) Eingruppierungsanträge vorzulegen, die sich auf eine Eingruppierung in das alte Eingruppierungssystem (Tarifvertrag!) beziehen. Tut der Arbeitgeber dies nicht, kann der Betriebsrat den Arbeitgeber in einem Beschlussverfahren zu solchen Eingruppierungsanträgen verpflichten.

c. Statt a oder b oder parallel zu den unter a und b vorgeschlagenen Maßnahmen kommt Folgendes in Betracht:

Der Betriebsrat macht das grundsätzlich weiterhin anzuwendende tarifliche Eingruppierungssystem zum Gegenstand einer Betriebsvereinbarung, die dem Arbeitgeber vorgeschlagen wird. In diesem Betriebsvereinbarungsentwurf können die Tarifgruppen „abgeschrieben“ werden; stattdessen kann auch lediglich auf den Tarifvertrag Bezug genommen werden.

Der Betriebsrat kann sich natürlich auch ein neues System einfallen lassen: So käme in der Metallindustrie in Betracht, nicht mehr die alten Bestimmungen des Lohnrahmenabkommens zugrunde legen, sondern den Arbeitgeber damit zu „ärgern“, dass man ihm als Lohnsystem (§ 87 Abs. Ziffer 10 BetrVG) die Einführung von ERA vorschlägt!

Man kann die Vorlage des Entwurfs einer Betriebsvereinbarung verbinden mit der Aufforderung, bis zu einem bestimmten Stichtag zum Abschluss zu kommen. Kommt es nicht zum Abschluss, fordert der Betriebsrat den Arbeitgeber auf, der Einrichtung der Einigungsstelle zuzustimmen. Folgt der Arbeitgeber auch diesem Vorschlag nicht, wäre die Einigungsstelle über das Arbeitsgericht einzurichten.

Der Weg c kann in ziemlich kurzer Zeit „durchgezogen“ werden.

d. Daneben kommen für einen bei diesem Vorgang „benachteiligten“ neu eingestellten Arbeitnehmer individuelle Zahlungsansprüche in Betracht.

2. Beispielsfall:

Der Arbeitgeber tritt mit Wirkung zum 31.12.2006 aus dem Tarifverband aus. Ab 01.01.2007 werden neue Arbeitnehmer zunächst immer noch entsprechend den Tarifgruppen eingruppiert und vergütet. Auch eine Tariferhöhung gibt der Arbeitgeber – trotz fehlender Tarifbindung – an die Arbeitnehmer weiter. Der Betriebsrat wird nach § 99 BetrVG bei Eingruppierung wie bisher beteiligt.

Da sich nichts ändert, scheinen alle zufrieden zu sein.

Ab 01.01.2009 verändert der Arbeitgeber sein Verhalten:

Erstmalig wird dem Betriebsrat mitgeteilt, dass die neue Buchhalterin für den „Festbetrag von 2.700,00 € pro Monat“ eingestellt wird. Zur Einstellung wird ausdrücklich die Zustimmung erbeten. Ein Eingruppierungsantrag wird dagegen nicht gestellt, sondern lediglich die Höhe des Gehalts mitgeteilt.

Der „alte“ Tarifvertrag hätte ein Gehalt von 3.000,00 € vorgesehen. Andere Arbeitnehmer werden eingestellt: Bei einigen wird das Gehalt entsprechend dem „alten“ Tarifvertrag gezahlt; bei anderen wird davon – in unterschiedlicher Intensität – abgewichen.

Was ist zu tun?

Auch hier kommen die o. g. Wege a bis d in Betracht.

V.

Der Betriebsrat kann also dem Arbeitgeber nach der Beendigung der Tarifbindung einigen „Ärger“ machen; die Gewerkschaft ersetzen kann er allerdings nicht.

Der „Ärger“ muss natürlich einen Sinn haben:

1. Zunächst geht es um das Geld der Kollegen. Dies bedarf insoweit keiner weiteren Begründung. Vor allem gelingt es bei diesem Vorgehen dem Arbeitgeber nicht mehr, neue Beschäftigte „unterwertig“ einzustellen: Er muss die vereinbarte Eingruppierung beachten, d. h. sich an das System halten.

2. Daneben geht es darum, den Arbeitgeber „auf den richtigen Weg“ zurückzubringen: Dies ist der Weg des Tarifvertrags.

Zum einen sieht bereits das Grundgesetz im Tarifvertrag das angemessene Mittel zur Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. Der individuelle Arbeitsvertrag ist dieses angemessene Mittel nicht.

Zum anderen macht jeder Arbeitnehmer die Erfahrung, dass man nur gemeinsam stark ist. Die Gemeinsamkeit findet ihren Ausdruck in der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und in Tarifverträgen.

Dem Arbeitgeber sollten zur Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer/innen so viele Schwierigkeiten gemacht werden, dass er nach einem Ausweg aus dem „Theater“ suchen muss: Dieser Ausweg ist allein der Tarifvertrag.

In erster Linie sollte dies weiterhin durch einen Flächentarifvertrag (Eintritt in den Arbeitgeberverband) geschehen.

Die zweitbeste Lösung wäre ein Haustarifvertrag.

Eine Eingruppierungsordnung und ein Zahlungssystem - ausschließlich nach § 87 Abs. 1 Ziffer 10 zwischen Arbeitgebern und Betriebsrat „ausgehandelt“ - wäre die drittbeste Lösung.

VI.

Die „Katastrophenlösung“ wäre der Tarifabschluss mit einer gelben Gewerkschaft (sich oft „christlich“ nennend), die alles unterschreibt, was ihr der Arbeitgeber vorlegt. Erfolg haben diese obskuren Verbände dort, wo Beschäftigte nicht organisiert sind und/oder die Zusammenhänge nicht durchschauen bzw. wo sie für die „starken“ Gewerkschaften – aus welchen Gründen auch immer – zunächst einmal verloren gegangen sind. Dies ist leider in Ostdeutschland (aber nicht nur) festzustellen. Hier ist es für den Arbeitgeber ein „Kinderspiel“, dem auf den Arbeitsplatz angewiesenen Bewerber einen Vertrag vorzulegen, in dem dieser sich der Geltung eines (christlichen) Tarifvertrags in „seiner jeweiligen Fassung“, d. h. für alle Zukunft (!) unterwirft.

Münster, 05.07.2011

Dietrich Manstetten, Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht