Landwirtschaftsrecht / Agrarrecht

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Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Hofabgabeklausel: Welche Folgen hat die Entscheidung heute?

<link https: www.meisterernst.de newsletter mdm-newsletter-agrar-2018-01.html _top>aus: Newsletter Agrarrecht 10/2018

Wie bereits in unserem letzten <link file:267 _blank>Praxisreport Agrarrecht1 (2018 Seite 13)berichtet, haben wir bereits im Jahre 2014 eine größere Anzahl von Verfassungsbeschwerden für unsere Mandantschaft eingelegt. Am Ende mit Erfolg! Bereits am 23. Mai 2018 hat das Bundesverfassungsgericht auf von uns geführte Verfassungsbeschwerden hin, den Beschluss gefasst, dass die im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) normierte Hofabgabeverpflichtung verfassungswidrig ist. Am 8. August hat das Gericht seine Entscheidung zum Az. 1 BvR 97/14 und 1 BvR 2392/14 verkündet.

I. Bisherige Rechtslage

Seit Einführung der Alterskasse im Jahre 1957 konnte ein Landwirt*in oder sein Ehegatte seine Rente nur dann erhalten, wenn er sein Unternehmen nach Vorgaben des § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG in Verbindung mit § 21 ALG abgegeben hatte. Begründet wurde diese Regelung seit jeher damit, dass diese Verpflichtung den Strukturwandel in der Landwirtschaft beschleunige, indem sie dafür sorge, dass die landwirtschaftlichen Betriebe früh an die nächste Generation abgegeben werden.

II. Was haben die Verfassungsrichter im Grundsatz beanstandet?

Das Verfassungsgericht hat erklärt: die Hofabgabeklausel stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum dar. Wenn die Landwirte vor die Alternative „Hof oder Rente“ gestellt werden, dann ist das ein Eingriff in ihr Eigentum an Grund und Boden, das vom Grundgesetz mit Art. 14 geschützt wird. Dieser faktische Zwang wiegt schwer: „Im Ergebnis verliert der Landwirt bei Nichtabgabe völlig seine Rente oder seinen Hof, obwohl er beide in der Regel zur Alterssicherung benötigt“, so das Bundesverfassungsgericht. Wenn es dann nicht einmal einen Hofnachfolger gibt oder der Landwirt selbst durch die Hofabgabe keine wesentlichen Einkünfte erzielen kann, dann liegt ein Härtefall vor, bei dem der Gesetzgeber eine Ausnahme von der Hofabgabe vorsehen muss. Und solche Härtefallklauseln gibt es nicht.

Im zweiten Verfahren hat das Gericht zudem festgestellt, dass der Gesetzgeber die Gewährung einer Rente an den Ehepartner nicht von der Entscheidung des anderen Ehepartners über die Abgabe des Hofes abhängig machen darf. Es ist schon bemerkenswert, dass eine solche Regelung so lange Bestand haben konnte. Auch hier fand das Bundesverfassungsgericht deutliche Worte: die Verfassung schützt eine Ehe, in der die Eheleute in einer gleichberechtigten Partnerschaft zueinander stehen. Das Bundesverfassungsgericht stellte ausdrücklich fest, dass der Gesetzgeber mit der bis 2016 geltenden Regelung eine unzulässige „Dominanz eines Ehegatten“ gesetzlich begründet hatte! Das ist verfassungswidrig. Auch diese Ehefrau eines Landwirts bekommt jetzt rückwirkend zum Jahr 2011 ihre Rente, obwohl der Betrieb nicht abgegeben wurde.

III. Aktuelle Rechtslage

1. Nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Die Hofabgabeklausel gibt es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr. Sie ist weggefallen – ohne jede Übergangsfrist. Sie wurde vom Verfassungsgericht ausdrücklich und ab sofort für „unanwendbar“ erklärt. Sie ist damit seit dem 09.08.2018 keine Voraussetzung für die Rentengewährung mehr. Ab sofort können also auch die Landwirte ihre Rente bekommen, die ihren Betrieb weitergeführt haben. Sie müssen die Rente beantragen. Hierzu haben wir Ihnen auf unserer Homepage auch ein Merkblatt zur Verfügung gestellt.

2. Aussetzung der Verfahren durch die SVLFG

Leider werden die Rentenanträge aber bis dato von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) nicht mehr bearbeitet. Alle Antragsteller, auch die die Abgabevoraussetzungen erfüllen (!) erhalten ein gleichlautendes Schreiben. Darin wird behauptet, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht die Abschaffung der Hofabgabeklausel regele. Es müsse daher abgewartet werden, inwieweit der Gesetzgeber eine rückwirkende Änderung der Hofabgabeverpflichtung vornehme. Bis zu einer Neuregelung könne über den Antrag nicht entschieden werden. Wir halten dieses Vorgehen für rechtlich nicht haltbar. Die Rente hat eine existenzsichernde Wirkung und kann daher nicht über einen langen Zeitraum einfach nicht bewilligt werden.

3. Was ist zu tun?

Alle rentenberechtigten Landwirte, die noch keinen Antrag gestellt haben, sollten dieses umgehend nachholen. Wir verweisen insofern nochmals auf unser Merkblatt (<link aktuelle-rechtsinfos was-muss-ich-tun-damit-ich-meine-rente-bekomme>www.meisterernst.de/aktuelle-rechtsinfos/was-muss-ich-tun-damit-ich-meine-rente-bekomme/).

Wir meinen, dass die Verfahren sofort fortgesetzt werden müssen und empfehlen dringend, sich hierzu durch unabhängige Rechtsanwälte beraten zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig klargestellt, dass die Rechtsfolge einer Aussetzung gerade nicht eintreten soll, § 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ALG, vielmehr weiter anwendbar sind. Eine Aussetzung des Verfahrens würde dieser ausdrücklichen Anordnung zuwiderlaufen. Eine Weitergeltungsanordnung hätte auch keinerlei Sinn gehabt, weil nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG gerade nicht – auch nicht zeitlich begrenzt – weiter fortgelten sollte.

Eine Aussetzung sämtlicher Verfahren würde bedeuten, dass bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber keinerlei Anträge auf Bewilligung einer Regelaltersrente mehr beschieden würden. Hiervon geht die SVLFG selbst aus. Dies gilt einerseits für die Fälle, in denen keine Hofabgabe erfolgt ist, andererseits aber auch für die Fälle, in denen eine solche stattgefunden hat. Ein solches Ergebnis kann aber im Hinblick auf die soziale Sicherung im Alter, die hinsichtlich des Existenzminimums auch durch Art. 1, 20 GG (Sachs, GG, Art. 1 Rn. 31) und im Übrigen durch Art. 14 GG (Sachs, GG, Art. 14 Rn. 34) geschützt wird, nicht richtig sein.

Die Vorschrift sieht in ihren Nrn. 1 - 3 eine Kumulation von Merkmalen vor, die erfüllt sein müssen, damit eine Landwirtin bzw. ein Landwirt eine Regelaltersrente beziehen kann. Wenn beim „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ auf die Regel abgestellt werden kann, kann bei einer Kumulation von Merkmalen auf die übrigen Merkmale abgestellt werden. Fällt also mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine der drei Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 ALG weg, verbleibt es bei den übrigen zwei Voraussetzungen. Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Entscheidung ausdrücklich hiervon aus.

Wir empfehlen daher allen Betroffenen, unbedingt sofort einen Rentenantrag zu stellen und die gerichtliche Durchsetzung Ihrer Ansprüche im Wege der Untätigkeitsklage oder im Wege des Eilverfahrens vor den Sozialgerichten zu betreiben!

4. Ausblick

Wir waren von Anfang der Meinung, dass man sich in Berlin nicht über eine Wiedereinführung der Hofabgabeverpflichtung einigen wird. Wenn man sich dort schon nicht über ihre Abschaffung einigen konnte, dann wohl kaum über eine Wiedereinführung. Wir glauben, dass die Hofabgabeklausel nun endgültig der Vergangenheit angehört und Sie Ihre Rechte konsequent durchsetzen sollten. Eine neue Härtefallregelung wird die Hofabgabeklausel unserer Einschätzung nach nicht retten. Denn es gibt ein weiteres Problem, auf das das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber hingewiesen hat. Der Gesetzgeber hat 2016 die Hofabgabe an Ehegatten sehr stark erleichtert – und musste das auch um Benachteiligungen von Ehepartnern zu vermeiden, die mit dem Schutz der Ehe nach Art. 6 Grundgesetz, unvereinbar sind. Wie bereits ausgeführt gibt es diese Möglichkeit für etwa ein Drittel der Landwirte Das Bundesverfassungsgericht hält es nicht für zulässig, nur diese Minderheit für die agrarpolitischen Ziele der Hofabgabe in die Pflicht zu nehmen. Also müsste der Gesetzgeber die Hofabgabe als Voraussetzung einer Rente für die Mehrzahl der Landwirte wieder einführen. Das ist unrealistisch. Der Gesetzgeber wird wohl kaum eine Regelung wieder einführen, die er 2016 gerade abgeschafft hat.

Dies realisieren nun auch die Politiker des CDU/CSU, die sich vorrangig für einen Erhalt der Klausel ausgesprochen hatten. Auch der im Verfahren beteiligte Sachverständige Dr. Peter Mehl sieht keine Perspektive für die Hofabgabeklausel (Agra-Europe 39/18, 24.09.2018, S. 1 ff.= www.agra.de/fileadmin/user_upload/Ausgaben/2018/Age_39-2018.pdf).

Für Rückfragen rund um das Thema Alterssicherung und auch Nachfolgeplanung Ihres landwirtschaftlichen Unternehmens stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

[1] Alle Praxisreporte finden Sie als kostenlosen Download auf unserer Internetseite (<link termine-service publikationen>www.meisterernst.de/termine-service/publikationen/)

 

<link https: www.meisterernst.de newsletter mdm-newsletter-agrar-2018-01.html _top>aus: Newsletter Agrarrecht 10/2018

Münster, 25.10.2018

Jutta Sieverdingbeck-Lewers, Rechtsanwältin und Notarin
Fachanwältin für Agrar- und Erbrecht