Landwirtschaftsrecht / Agrarrecht

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Schadensersatzansprüche wegen des Milchlieferstreiks?

Der von dem Bund deutscher Milcherzeuger e.V. (BDM) initiierte Streik der Milchlieferanten hat für große Aufruhr gesorgt. Weil sich offenbar wesentlich mehr Landwirte an dem Streik beteiligen, als es die Molkereien und Handelsunternehmen ursprünglich erwartet haben, ist die Produktion der Milcherzeugnisse und die Belieferung der Handelsketten ins Stocken geraten. Die Molkereien beklagen deshalb Einnahmenausfälle in enormer Größenordnung. Alleine die Humana Milchunion beziffert den Schaden aufgrund des Streiks bis zum 02.06.2008 auf ca. 12 Millionen Euro.

In diesem Zusammenhang werden nun auch erste Vorwürfe laut, der Streik sei rechtswidrig und die Landwirte und der BDM seien deshalb zum Schadensersatz verpflichtet. Das Bundeskartellamt erwägt offenbar sogar, ein Verfahren wegen des Verdachts eines unzulässigen Boykotts gem. § 21 GWB einzuleiten.

Unserer Meinung nach ist die vorübergehende Einstellung der Milchlieferungen im Rahmen des Lieferstreiks zu dem Zweck, ein höheres Milchgeld zu erzielen, nicht rechtswidrig. Zwar sind die Landwirte in aller Regel durch die Lieferverträge oder durch die Satzungen der Genossenschaftsmolkereien verpflichtet, sämtliche in ihrem Betrieb erzeugte Milch abzuliefern, soweit sie nicht zum Eigenverbrauch (z.B. zur Kälberaufzucht) bestimmt ist. Da jedoch regelmäßig keine bestimmten Mindestmengen vereinbart sind, steht es einem Landwirt frei, die Produktion zu drosseln oder aus wirtschaftlichen Gründen ganz einzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2002, Az. VII ZR 124/00). Die erzeugte Milch darf aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen also nicht anderweitig vermarktet werden, indem sie z.B. an eine andere Molkerei geliefert wird. Eine Vernichtung und erst Recht eine Verwendung zum Eigenverbrauch ist demgegenüber in der Regel zulässig, soweit dies jedenfalls zur Wahrung der berechtigten Interessen der Lieferanten geschieht.

Mit einem organisierten Lieferstreik von Milcherzeugern hatte sich die Rechtsprechung bereits vor mehr als 40 Jahren schon einmal zu befassen. Der Bundesgerichtshof entschied damals mit Urteil vom 12.03.1965 (Az. KZR 8/63), dass das Ziel der streikenden Lieferanten, für die abgelieferte Milch einen höheren Milchpreis zu erzielen, rechtlich nicht zu beanstanden sei. Es sei auch unbedenklich, wenn einzelne Milcherzeuger, denen das gezahlte Milchgeld zu gering erschien, aus wirtschaftlichen Gründen und aus eigenem Entschluss die Milch nicht abgeliefert hätten, sondern zur Viehaufzucht selbst verwertet hätten. Rechtwidrig sei es jedoch gewesen, dass sich sämtliche Lieferanten zusammengeschlossen hätten und die Milchlieferungen vollständig eingestellt hatten, weil dies zur wirtschaftlichen Vernichtung des Molkereibetriebes zur endgültigen Stilllegung des Betriebes führte.

Diese Entscheidung kann nur mit Einschränkungen auf den jetzt vom BDM initiierten allgemeinen Lieferstreik übertragen werden. Abgesehen davon, dass damals teilweise noch andere Rechtsvorschriften galten, richtet sich der Lieferstreik nun nicht nur gegen eine bestimmte Molkerei, sondern gegen alle Molkereien in gleicher Weise. Es werden nicht bestimmte Molkereien im Wettbewerb gegenüber anderen Molkereien bevorzugt oder benachteiligt, sondern vielmehr wollen alle beteiligten Landwirte gegenüber allen Molkereien einen höheren Milchpreis durchsetzen. Solange die Einstellung der Lieferungen auf einen vorübergehenden Zeitraum beschränkt bleibt und sich gegen alle Unternehmen in gleicher Weise richtet, ist dies unseres Erachtens zur Wahrnehmung der berechtigten Interesse der Landwirte gerechtfertigt. Da die Molkereien nach den Satzungen und Lieferverträgen den Milchpreis einseitig im Nachhinein für jeden Monat „nach billigem Ermessen“ (§ 315 BGB) festlegen und die Landwirte langfristig an ihre Molkerei gebunden sind, besteht hinsichtlich der Verhandlungsmacht über das Milchgeld ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Landwirten und den Molkereien. Zur Wahrung ihrer Interessen muss es daher möglich sein, durch die vorübergehende Einstellung der Lieferungen im angemessenen Verhältnis Druck auf die Molkereien auszuüben, um ein Verhandlungsgleichgewicht herzustellen.

Der Milchlieferstreik fällt daher unserer Meinung nach in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, weil der BDM – ähnlich wie eine „Milchbauerngewerkschaft“ – eine Vereinigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Milchbauern ist. Selbstverständlich muss bei dem Milchlieferstreik aber – wie bei einem Streik von Arbeitnehmern auch – das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt bleiben. Ziel des Streiks darf es also auf keinen Fall sein, einzelne Molkereien in die Insolvenz zu treiben oder deren Geschäftsbetrieb dauerhaft stillzulegen. Der Lieferstreik darf vielmehr nur als Druckmittel im Rahmen der Verhandlungen über die Erzielung höherer Milchpreise eingesetzt werden.

Da alle Molkereien und Handelsunternehmen in gleicher Weise von dem Lieferstreik betroffen sind, gibt es auch keine Anhaltspunkte für einen unzulässigen Boykott im Sinne des § 21 GWB. Denn die Absicht, bestimmte Unternehmen im Wettbewerb zu anderen Molkereiunternehmen unbillig zu beeinträchtigen, liegt offenkundig nicht vor. Für eine Verfahren des Bundeskartellamts gibt es daher keinen Anlass.

Münster, 11.06.2008

Dr. Dirk Schuhmacher, Rechtsanwalt