Landwirtschaftsrecht / Agrarrecht

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Entscheidung des EuGH zu Sanktionen im Prämienrecht

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 01.07.2004 eine wichtige Entscheidung zur Verhängung von Sanktionen im Prämienrecht getroffen. Die Entscheidung betrifft alle noch nicht abgeschlossenen Fälle der Antragsjahre 2001 und früher. Für diese Verfahren, die regelmäßig bei den Verwaltungsgerichten anhängig sind oder im Widerspruchsverfahren ruhen, stellt sich die Frage, ob das seit Anfang 2002 geltende neue Sanktionsrecht, das in vielen Fällen für den Landwirt günstiger ist, auch auf diese Altfälle angewendet werden muss.

Diese Frage hat insbesondere Bedeutung in den Fällen, in denen Landwirte Flächenzahlungen oder Tierprämien beantragt hatten und die Behörde ihnen vorwirft, grob fahrlässig fehlerhafte Angaben gemacht zu haben. Nach dem früheren Recht entfiel in derartigen Fällen der gesamte Prämienanspruch. Das neue Recht dagegen kennt keinen besonderen Kürzungstatbestand für den Fall der groben Fahrlässigkeit. Das neue Recht ist somit wesentlich günstiger für den Landwirt.

Gleiches gilt in den Fällen, in denen Landwirten vorgeworfen worden ist, sie hätten im Hinblick auf Nichtantragstiere fehlerhafte Angaben in der HIT-Datenbank gemacht. Während das alte Recht hier einen vollständigen Wegfall des Prämienanspruches bei Überschreiten einer 20%-Grenze vorsah, kennt das neue Recht eine derartige Grenze nicht.

Von großer Bedeutung ist auch die Neuregelung, dass Sanktionen nicht verhängt werden können, wenn der Landwirt sachlich richtige Angaben vorgelegt hat oder auf andere Weise belegen kann, dass ihn keine Schuld trifft.

Nach dem Urteil des EuGH ist in derartigen Fällen das neue Recht anzuwenden, wenn es für den Landwirt günstiger ist. An diese Entscheidung sind die Behörden und auch die Verwaltungsgerichte gebunden. Die Landwirte werden sich mit ihren Rechtsmitteln somit zu einem großen Teil durchsetzen. Zu beachten ist diese Entscheidung auch in den Fällen, in denen die Behörden z.B. nach einer Vor-Ort-Kontrolle die Prämien rück-wirkend für mehrere Jahre neu berechnen und überzahlte Beträge zurückverlangen. Auch dann ist das neue Recht anzuwenden, wenn es für den Landwirt günstiger ist.

Diese Entscheidung des EuGH wirkt sich nur in den Fällen aus, in denen im Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Hat ein Landwirt in der Vergangenheit gegen einen ihn belastenden Bescheid keinen Widerspruch eingelegt oder bei einem klageabweisenden Urteil des Verwaltungsgerichtes auf das Einlegen eines Rechtsmittels verzichtet, so kann er sich nun nicht mehr auf die neue Entscheidung des EuGH beru-fen. Etwas anderes gilt nur in den - allerdings seltenen - Fällen, in denen ein letztinstanzliches Gericht die Klage eines Landwirtes unter Anwendung des alten Rechtes abgewiesen hat. Denkbar sind insoweit Fälle, in denen Anfang 2002 Oberverwaltungs-gerichte oder Verwaltungsgerichtshöfe Anträge auf Zulassung der Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil eines Verwaltungsgerichtes zurückgewiesen haben, weil sie davon ausgingen, dass das neue Recht nicht anwendbar ist. In diesen Fällen kann ein Betroffener innerhalb einer Frist von drei Monaten bei der zuständigen Behörde ein Wiederaufgreifen des Verfahrens beantragen. Die Frist beginnt mit dem Tage zu laufen, an dem er von dem Urteil des EuGH Kenntnis erlangt hat.

Münster, 09.07.2004

Dr. Frank Schulze, Rechtsanwalt