Landwirtschaftsrecht / Agrarrecht

Rechtsinfo Archiv

Zurück

Landwirtschaftsrecht / Agrarrecht
Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 2 GG

1. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird in der Verfassung an zwei Stellen genannt: Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG1 sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Des Weiteren darf gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden.

Verhältnis und Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 neben Art. 3 Abs. 3 Satz 1 bezüglich des Merkmals "Geschlecht" waren lange Zeit unklar. Das BVerfG betrachtete beide Normen zunächst als gleichbedeutend und sah in ihnen ein einheitliches Diskriminierungsverbot. Ein eigenständiger Regelungsgehalt kam Art. 3 Abs. 2 neben Absatz 3 Satz 1 nicht zu. Regelungen, die zwischen Mann und Frau differenzierten, waren verfassungsmäßig, wenn sie auf objektive, biologische oder funktionale Unterschiede zurückzuführen waren (BVerfGE 3, 241; 6, 423; 15, 337).

Erstmals in der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen Anfang 1992 (BVerfGE 85, 191= NJW 1992, 964) betonte das BVerfG einen Unterschied zwischen Art. 3 Abs. 2 und Absatz 3 Satz 1. Während Art. 3 Abs. 3 weiterhin als Diskriminierungs- / Differenzierungsverbot galt, wurde Art. 3 Abs. 2 daneben ein eigenständiger Regelungsgehalt in Form eines Gleichberechtigungsgebotes zugesprochen. Gleichzeitig verschärfte das BVerfG seinen Prüfungsmaßstab. Eine Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau war nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 nur dann gerechtfertigt, wenn die differenzierende Regelung zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach entweder nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten konnten, zwingend erforderlich war. Eine Ungleichbehandlung konnte zudem aber auch durch das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 gerechtfertigt sein. Denn diese Norm berechtigte den Gesetzgeber, faktische Nachteile eines Geschlechts durch begünstigende Regelungen auszugleichen, sofern die Regelung im Einzelfall verhältnismäßig war.

Diese Auslegung ist inzwischen vom Verfassungsgeber insbesondere durch die Verfassungsänderung im Oktober 1994 und der damit einher gehenden Anfügung des Art. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 bestätigt worden. Das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 wurde damit zu einem bindenden Auftrag an den Staat, in Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen und die überkommene Rollenverteilung zu überwinden (BVerfGE 92, 91 = NJW 1995, 1733; BVerfGE 89, 276 = NJW 1994, 648). Durch diesen normierten Verfassungsauftrag wird einmal mehr deutlich, dass die Grundrechte auch Teilhaberechte sind, die den Staat nicht nur verpflichten, über die Wahrung der Grundrechte zu wachen und Eingriffe abzuwehren, sondern auch im Einzelfall die erforderlichen Maßnahmen zur Verwirklichung des Grundrechts zu treffen.

Der beschriebene Wandel vollzog sich insbesondere in der Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG, da die meisten Verfahren zu Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter in dessen Zuständigkeit fielen und fallen.

2. Gesetzliche Regelungen, die ausdrücklich den Frauen Rechte vorenthielten oder deren Rechte beschränkten, existieren inzwischen nicht mehr. Handlungsbedarf besteht allerdings nach wie vor in Fällen mittelbarer Benachteiligung von Frauen, die häufig ihre Ursache in der alt hergebrachten Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, insbesondere in der Familie und Arbeitswelt, haben. Die Entscheidungen des BVerfG zu Gleichstellungsfragen aus den letzten Jahren betreffen daher vor allem das Familien- und Arbeitsrecht. Exemplarisch wird auf folgende Entscheidungen hingewiesen:

a) In seiner Entscheidung vom 18.12.2002 (Az. 1 BvR 108/96 = NJW 2003, 200) hat das BVerfG in Fortführung seiner Rechtsprechung (BVerfGE 22, 93 = NJW 1967, 1507) nochmals hervorgehoben, dass das Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau in Art. 3 Abs. 2 eine verbindliche Wertentscheidung auch für den Bereich des Ehe- und Familienrechts darstelle.

Auf dieser Grundlage hat das BVerfG in seiner aktuellsten Entscheidung zum Thema Gleichstellung am 18.02.2004 (Az. 1 BvR 193/97 = NJW 2004, 1155) § 1355 Abs. 2 BGB für verfassungswidrig erklärt. Nach dieser Vorschrift können Eheleute, die einen gemeinsamen Familiennamen als Ehenamen führen wollen, dazu nur den Geburtsnamen des Mannes oder den der Frau bestimmen, nicht aber einen durch frühere Eheschließung erworbenen Familiennamen, den einer von beiden zum Zeitpunkt der Eheschließung führt. Auch nach erfolgter Gesetzesänderung aufgrund des Urteils des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des Namensprivilegs des Mannes im Jahr 1991 (BVerfGE 84, 9 = NJW 1991, 1602) verstoße die Vorschrift u.a. gegen Art. 3 Abs. 2. Die Einschränkung der Wahlmöglichkeit in § 1355 Abs. 2 BGB auf den Geburtsnamen bevorzuge denjenigen, der sich mit seinem Namen in der früheren Ehe durchgesetzt und diesen Namen nun auch in der neuen Ehe zum Ehenamen wählen kann. Das sei bei der tatsächlichen Dominanz des Mannesnamens aufgrund des immer noch herrschenden Rollenverständnisses nach wie vor der Mann. Die Wirkungen des § 1355 Abs. 2 BGB träfen daher vor allem Frauen.

In einem Anfang 2002 ergangenen Urteil (Az. 1 BvL 23/96 = NJW 2002, 1256) hatte das BVerfG dagegen entschieden, die Vorschriften zur Bestimmung des Geburtsnamens des Kindes (§§ 1616, 1617 BGB), wonach das Kind als Geburtsnamen den Ehenamen der Eltern oder, wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern keinen Ehenamen führen, den Namen des Vaters oder der Mutter erhält, könne nicht als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gewertet werden, auch wenn es zuträfe, dass die überwiegende Mehrheit von Ehepaaren mit einem gemeinsamen Ehenamen den des Mannes führt und dass sich auch Eltern ohne Ehenamen zum größten Teil bei der Wahl des Geburtsnamens am Namen des Mannes orientieren. Eine derartige Wahl gründe sich vorwiegend nicht auf eine nachteilige Situation von Frauen, sondern auf vorfindliche Einstellungen in der Bevölkerung. Bleibt abzuwarten, ob und welche Auswirkungen die Entscheidung des BVerfG zu § 1355 Abs. 2 BGB auf die Vorschriften zum Namensrecht des Kindes hat. Es sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, warum der Aspekt der tatsächlichen Dominanz des Männernamens aufgrund des noch herrschenden Rollenverständnisses bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Namensrechts unterschiedlich gewichtet werden sollte, je nach dem, ob es um den Ehenamen oder den Geburtsnamen des Kindes geht.

In einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich vom 20.05.2003 (Az. 1 BvR 237/97) führte das BVerfG aus, Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 schütze die Ehe als Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner. Vor diesem Hintergrund diene der Versorgungsausgleich dazu, Nachteile eines Ehepartners (in der Regel die der Ehefrau) durch die in der Ehe gewählte Rollenverteilung auszugleichen. Dieser Zweck müsse im Rahmen der Härtefallregelung des § 1587 c BGB zwingend berücksichtigt werden, so dass ein Wegfall des Versorgungsausgleichs nur ausnahmsweise unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände bejaht werden dürfe.

Auf dem Gedanken der Gleichberechtigung der Ehepartner beruht auch die Entscheidung des BVerfG vom 05.02.2002 (Az. 1 BvR 105/95), wonach die berufliche Tätigkeit und die Kindesbetreuung unterhaltsrechtlich gleichwertig sind, beide also die ehelichen Lebensverhältnisse prägen. Eine nach der Trennung / Ehescheidung aufgenommene Tätigkeit des bis dahin die Kinder betreuenden Partners sei im Wege der Differenzmethode und nicht länger nur bedarfsmindernd (so nach der Anrechnungsmethode) bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen.

b) Auch im Bereich des Arbeitsrechts geht es schwerpunktmäßig um die Vermeidung mittelbarer Nachteile für Frauen, die häufig durch Regelungen entstehen, die auf den ersten Blick die Position der Frauen stärken.

Mit bereits genanntem Urteil zum Nachtarbeitsverbot (BVerfGE 85, 191 = NJW 1992, 964) entschied das BVerfG, dass die Regelung zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen, welches nach der Gesetzesbegründung einen besonderen Schutz für Frauen schaffen sollte, verfassungswidrig sei, weil es Arbeiterinnen im Vergleich zu Arbeitern und zu weiblichen Angestellten benachteilige.

In einer aktuellen Entscheidung vom 18.11.2003 (Az. 1 BvR 302/96) hatte sich das BVerfG mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung zur Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 MuSchG zu befassen. Das BVerfG urteilte, dass die gegenwärtige Ausgestaltung der Zuschusspflicht verfassungswidrig sei. Der Gesetzgeber hat in § 10 LFZG ein Ausgleichs- und Umlageverfahren für Kleinunternehmen geschaffen, um deren Kostenbelastung durch den Mutterschutz zu mindern und dadurch zu verhindern, dass diese von einer Einstellung gebärfähiger Frauen absehen. Die Beschränkung des Erstattungsanspruchs auf Kleinunternehmen trage jedoch erneut das Risiko einer faktischen Diskriminierung von Frauen in sich, indem es diesen den Zugang zu größeren Unternehmen faktisch erschwere.

3. Etwas weiter als das BVerfG geht das BVerwG. In seinem Urteil vom 18.07.2002 (DVBL 2003, 139) hat das BVerwG die aktive Förderung von Frauen bei der selbständige Betriebsgründung durch Bevorzugung bei der Gewährung der Meistergründungsprämie in Form längerer Betriebsgründungsfristen für rechtmäßig erklärt. Art. 3 Abs. 2 Satz 2, 1. HS berechtige und verpflichte den Staat, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Gesellschaft durch aktive Maßnahmen zu verwirklichen. Die aktive Frauenförderung war in diesem Fall insbesondere deshalb rechtmäßig, weil sie zum einen erforderlich und geeignet war, die drastische Unterrepräsentanz von Frauen im Bereich der Wirtschaft zu reduzieren und zum anderen den Männern durch die Frauenförderung keine Nachteile entstanden.

Auch die EU wird zunehmend in Fragen der Gleichbehandlung von Frauen und Männer aktiv.

Bereits Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 09.02.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf Arbeitsbedingungen bestimmte, dass die Richtlinie Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern, insbesondere durch Beseitigung bestehender Ungleichheiten nicht entgegen steht.

In den Folgejahren hat sich der EuGH mit diesen Grundsätzen mehrfach in Verfahren befasst, in denen es um die Konkurrenzsituation mehrerer Bewerber um Einstellung und Aufstieg im öffentlichen Dienst ging (Urteil vom 17.10.1995, Az. Rs C-450.93; Urteil vom 11.11.1997, Az. Rs C-409.95; Urteil vom 06.07.2000, Az. Rs C-407.98). In diesen Urteilen hat der EuGH die bevorzugte Förderung von Frauen bei gleicher Qualifikation männlicher Bewerber trotz unmittelbarer Nachteile für die Männer für zulässig erklärt, sofern nicht im Einzelfall in der Person des männlichen Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen (sog. Öffnungsklausel).

Die vorgenannte Gleichberechtigungsrichtlinie wurde durch die Richtlinie 2002/73/EG vom 23.09.2002 geändert und konkretisiert. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich jetzt explizit zu einer aktiven Umsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zwischen Frauen und Männern im Arbeitsleben ("positiv action"). Zusätzlich enthält die Richtlinie ein erweitertes Diskriminierungsverbot. Unter den Begriff der Diskriminierung fallen nunmehr sowohl die unmittelbare wie auch die mittelbare Benachteiligung. Des Weiteren müssen die Regelungen oder Praktiken nicht tatsächlich diskriminieren; die Möglichkeit einer Diskriminierung reicht für einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus.

Diese Richtlinie ist spätestens bis zum Oktober 2005 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland werden daher in nächster Zeit im Bereich des Arbeitsrechts einige gesetzliche Änderungen anstehen.

Auch das BVerfG hat sich zunehmend an der Rechtsprechung des EuGH und den Gleichbehandlungsrichtlinien der EU zu orientieren. Da der Grundsatz der Gleichbehandlung zu den vom EuGH anerkannten ungeschriebenen gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten gehört und damit Prüfungsmaßstab des EuGH für das Verhalten der Gemeinschaftsorgane, ist Art. 3 Abs. 2 Satz 1 auch "gemeinschaftsfreundlich" auszulegen. Es wäre wünschenswert, wenn die von der EU in der letzen Gleichbehandlungsrichtlinie explizit normierte Zulässigkeit und Erforderlichkeit aktiver Maßnahmen zur Durchsetzung der Gleichstellung zwischen Frau und Mann in Zukunft auch in der Rechtsprechung des BVerfG deutlicher zum Ausdruck käme. Das BVerwG ist mit seiner Entscheidung zur Meistergründungsprämie mit gutem Beispiel vorangegangen.


1 Art. ohne Gesetzesangabe sind solche des Grundgesetzes.

Münster, 01.09.2004

Mechtild Düsing, Rechtsanwältin und Notarin